Wer gehört dazu?

Morgenandacht
Wer gehört dazu?
24.08.2019 - 06:35
13.06.2019
Stephan Krebs
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Sonntagmorgen in einer fremden Stadt. Das Frühstück geht zu Ende. Ich mache mich auf um in die Kirche zu gehen. Ich freue mich auf einen feierlichen Gottesdienst mit schöner Musik und guten Worten, die zu Herzen gehen. Noch weiß ich nicht, dass ich etwas ganz anderes bekommen werde. Am Eingang erwartet mich eine kleine Frau, sie hat erkennbar das Down-Syndrom. Ich denke: „Gut! So stelle ich mir die Kirche vor. Mit Platz für Menschen wie sie.“ Die Frau sagt etwas hölzern aber freundlich „Guten Morgen“ und gibt mir ein Gesangbuch. Besonders freue ich mich auf die Lieder, sie gehören für mich im Gottesdienst zum Wichtigsten, sie berühren mein Herz. Außerdem ist Singen gesund.

Es geht los. Wir, eine kleine Gemeinde von vielleicht 25 Leuten, singen das erste Lied. „Oje“, denke ich „das wird nichts.“ Denn an der Orgel sitzt jemand, der nicht wirklich gut spielen kann. Außerdem singt die Frau mit dem Down-Syndrom mit. Zwar laut und fröhlich, aber leider vollkommen falsch. Eigentlich ist es eher ein Lallen als ein Singen. Sie bringt mich damit aus der Melodie heraus. Die anderen nicht, sie kennen das offenbar schon. Sie singen unbeirrt weiter. Es kommt mir sogar so vor, als singen sie besonders kräftig und sicher. So geht das auch bei den weiteren Liedern.

Ich fühle mich allerdings um den schönen Gesang betrogen. Aber natürlich meldet sich in mir auch wieder die Stimme der Inklusion. „Gerade die Kirche ist Heimat für die, die woanders ausgegrenzt werden – sie muss es sein. Und das muss mir auch etwas wert sein.“

Dann kommt die Predigt. Etwa bei der Hälfte unterbricht die Prädikantin. Sie hat gesehen: Vor dem Haus steht eine Gruppe von Schwarzafrikanern unschlüssig herum. Offenkundig trauen sie sich nicht herein, weil sie zu spät sind. Die Prädikantin bittet jemanden an der Türe, die Leute herein zu holen. „Das sind unsere Flüchtlinge aus Eritrea“, sagt sie mit einem entschuldigenden Lächeln. „Sie haben ihr afrikanisches Zeitgefühl mitgebracht. Aber auch ihren tiefen Glauben an Jesus Christus“, fügt sie hinzu. Mit ein paar Sätzen, deutsch-englisch gemischt, begrüßt sie die Eritreer. Später bittet sie die Gruppe, das Vater Unser in ihrer Sprache vorzubeten. Zuerst trauen sich die Eritreer nicht. Dann kommt doch einer nach vorne. Sein Vater Unser klingt ganz anders, und doch ist der innere Rhythmus dieses weltweiten Gebets gut zu hören. Dann antworten wir auf Deutsch.

Am Ende des Gottesdienstes bittet die Prädikantin die Orgelspielerin nach vorne. Nun wird deutlich: Sie ist eine junge Frau von vielleicht 17 Jahren. Und: Sie ist kurzfristig eingesprungen als Aushilfe, obwohl sie noch nicht so gut spielen kann. Sie ist gewissermaßen ins kalte Wasser gesprungen. „Respekt“, denke ich. Dennoch halte ich die Luft an, als sie zum Schluss noch ein Stück alleine spielt. Und zwar vorne am Klavier – vor aller Augen im Altarraum. Ich denke: „Wie wird das sein, wenn ihr jetzt am Ende alle still zuhören?“ Auf meine Sorge antwortet sie mit ihrer Musik. Ein langsames Stück, es scheint direkt aus ihrem Herzen in meines zu fließen. Und nicht nur in meines. Alle hören gebannt zu und sind tief berührt. Am Ende bekommt sie dafür einen spontanen Applaus.

Beim Rausgehen werde ich von mehreren Leuten freundlich begrüßt, obwohl sie mich gar nicht kennen. Darunter sind ältere Herren, sonst ja eher eine in sich gekehrte Spezies. Hier nehmen die Leute wahr, wer da ist. Zu dieser Gemeinschaft könnte ich dazugehören. So ziemlich jeder könnte das, der es will.

Ich gehe davon. Innerlich angerührt von diesem Gottesdienst mit Hindernissen. Zwar habe ich nicht das bekommen, was ich erwartet hatte. Aber das, was ich bekommen habe, war vielleicht sogar besser. Denn es passt zu dem, was an vielen Stellen in der Bibel zu lesen ist: Was bei Gott wirklich zählt, ist nicht das Perfekte. Nicht das Größte. Nicht das Beste. Sondern es ist das echte: das gute Herz und der liebevolle Respekt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Stephan Krebs