50. Todestag Mies van der Rohe

Wort zum Tage
50. Todestag Mies van der Rohe
17.08.2019 - 06:20
13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit
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Am Tag, als das Dach kam, fegte ein Orkan über Berlin. Bäume wurden entwurzelt, Autos zerstört. Doch das kümmerte die Herren in diesem Augenblick nicht: Sie sitzen im Dienstwagen mit Chauffeur und rauchen Zigarren. Einer der beiden ist Ludwig Mies van der Rohe – Star-Architekt aus Chicago, der andere mein Vater und damals Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Ich konnte die Geschichte als Kind nicht oft genug hören, sah die Herren in ihren dunklen Anzügen auf der Rückbank des Autos, roch den Duft der Zigarren, spürte das Tosen des Sturms. Berlin 1967. Die Augen aller sind auf den – fast – fertigen Neubau gerichtet. Das Dach ist eine Stahlkonstruktion – nun muss es mit Hilfe eines Krans auf den leichten, luftigen Bau aus Glas und Licht gehievt werden. Es ist das einzige Bauwerk, das Mies van der Rohe nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland umsetzen wird. 1930 wurde der geborene Aachener als Direktor des Bauhauses nach Dessau berufen. Nach dessen Schließung durch die Nationalsozialisten nur zwei Jahre später gründete er 1933 das Bauhaus Berlin als Privatinstitut, doch sein Architekturstil gefiel den Machthabern nicht. 1937 drängte man ihn, die Preußische Akademie der Künste zu verlassen. Mies van der Rohe emigrierte in die USA, deren Staatsbürger er später wurde. Bei der feierlichen Eröffnung der Neuen Nationalgalerie im Jahr 1968 konnte der Architekt aus Gesundheitsgründen schon nicht mehr persönlich anwesend sein.

Neben der Nationalgalerie am Kulturforum steht die Matthäuskirche. Ein heller, leichter Bau nach Plänen des preußischen Baumeisters August Stüler aus dem Jahr 1846. „Des lieben Gottes Sommerfrische“ nannten die Berliner das Gotteshaus mitten im Berliner Tiergarten. Es ist innen ganz hell – die Wände weiß, die Fenster durchsichtig. Das Bauhaus hätte seine Freude an der klaren, luftigen Bauweise. Ich liebe diesen Platz zwischen den zwei Architekturdenkmälern. Beide sind Orte des Lichts und des Aufbruchs – jedes auf seine Art. Sie stehen da nebeneinander und es scheint, als wären sie miteinander verbunden: die Kirche, in der man mitten in den Himmel blickt, und der Platz vor der Neuen Nationalgalerie, auf dem damals an einem stürmischen Tag ein alter Herr an seiner Zigarre zog und dabei ein Stück seines Lebenswerks betrachtete. Vielleicht konnte er in diesem Moment seinen Frieden machen mit der finsteren Zeit in diesem Land, das seine Heimat war. „Lebt als Kinder des Lichts!“ heißt es beim Apostel Paulus in der Bibel – Mies van der Rohe hat so gebaut. Er starb heute vor 50 Jahren im Alter von 83 Jahren in Chicago.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit