Anders leben und doch verbunden

Wort zum Tage
Anders leben und doch verbunden
19.05.2020 - 06:20
15.05.2020
Sabrina Greifenhofer
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In Kanada seien Biberschwänze eine ganz besondere Leckerei, erzählte Marta und schaute in die verdutzte Runde. In einem Seminar mit internationalen Teilnehmern tauschten wir uns über die Besonderheiten unserer Heimatländer aus. Na gut, dachte ich, hier zu Lande essen wir auch heimische Tiere, aber meine Irritation über den Verzehr von Biberschwänzen blieb. Nach einem Moment Stille begann Marta lächelnd zu erklären: Biberschwänze seien eine kanadische Süßspeise, deren Muster und Form einem Biberschwanz gleiche. Zubereitet aber aus Teig.

Jeder Alltag ist anders. Ganz unterschiedlich sind die Gewohnheiten und Rituale von Menschen auf der ganzen Welt. Marta erzählt uns noch mehr:

Als Kind sei sie auf Schafen Rodeo geritten. Marta und ihre Freunde kühlen ihr Bier die Hälfte des Jahres draußen, in den Schneehügeln vor ihrem Haus. Sie kennt Supermärkte, die einem das Gefühl geben, ein Zwerg zu sein, weil alles überdimensioniert ist: Die Einkaufswagen, die Gläser mit Erdnussbutter und die Chipstüten.

Alles fremd und ungewohnt für mich – immerhin sind Marta und ich über 6.500km voneinander entfernt aufgewachsen. Und doch gibt es etwas, das wir beide gut kennen.

Denn manches geht um die ganze Welt. Dass dazu Viren und Bakterien zählen, müssen wir in dieser Zeit schmerzlich erfahren. Aber es geht auch um die Welt, was ansteckt, ohne krank zu machen: Melodien und Lieder. Sie schallen aus Autoradios, aus Lautsprechern durch Arztpraxen, aus Kopfhörern direkt in Ohren auf dem ganzen Globus. Sie bleiben im Kopf und werden ab und an gesungen oder gesummt.

Marta summte so ein Lied in einer der Pausen des Seminars, ich stimmte gleich mit ein: „Ooh I am blinded by the lights“.

In das Lied des kanadischen R’n’B-Musikers „The Weekend“ können Marta und ich gleichermaßen einstimmen. Und plötzlich ist ein Stück Europa mit einem Stück Nordamerika verbunden.

Eine ähnliche Verbundenheit spüre ich jeden Sonntag. Da geht ein Gebet um die Welt. Es erklingt in Kirchen und Andachtsräumen auf allen Kontinenten, in Wohn- und Schlafzimmern auf der ganzen Welt: Das Vaterunser. Jeden Sonntag, wenn ich es bete, fühle ich mich verbunden mit dieser weltweiten Gemeinschaft von Menschen, die beten, was ich bete. In unterschiedlichen Sprachen, zu unterschiedlichen Zeiten und doch stimmen wir gemeinsam ein.

Das Vaterunser verbindet Christinnen und Christen auf der ganzen Welt – so vielfältig sie auch sind und leben. Wie ein Popsong, der ins Ohr geht und im Kopf bleibt und dessen Melodie Menschen überall summen können.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

15.05.2020
Sabrina Greifenhofer