Angesehen und berührt

Wort zum Tage
Angesehen und berührt
14.09.2019 - 06:20
13.06.2019
Ulrike Greim
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Es hat sie niedergedrückt. All dieses Elend. Jeden Tag diese Bilder. Sie will so gerne helfen, aber sie ist wie gelähmt. Immer und immer wieder zieht sie sich die Meldungen rein, die Mal um Mal das Ausmaß der Katastrophe größer zeigen. Noch mehr Tote, noch mehr Verletzte, noch mehr heimatlose Kinder, Waisen, traumatisiert. Und ihre Kolleginnen und Kollegen: Sie sind dabei. Fotografieren. Notieren die Zahl der Toten. Wenigstens das. Dokumentieren das Grauen. Und das ist schon viel. Und gefährlich.

Und ist so wenig.

Sie wollte auch. Hatte sich Urlaub genommen. Alles vorbereitet. Und dann kam die Diagnose. Und nun liegt sie auf ihrem Sofa und in ihrem Kopf läuft alles auf Hochtouren. Es rattert ohne Unterlass. Sie kann nicht. Sie kann einfach nicht. Es geht ja nicht. Nicht einmal dokumentieren kann sie, geschweige denn helfen, Brücken zu bauen. Nein, es ist zum Verzweifeln, nichts tun zu können und zuschauen zu müssen. Sie ist wie verbaut. Alles ist wie zugenagelt. Kein Zentimeter Platz für Hoffnung.

Szenenwechsel.

Einst saß ein Gelähmter vor dem Tempel. Jeden Morgen wurde er dorthin gesetzt zum Betteln. Petrus und Johannes kommen vorbei, schauen ihn an. Und sagen: Schau uns an. Gold und Silber haben wir nicht. Aber was wir haben, geben wir dir. Im Namen Jesu Christi: Steh auf. Und er ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest. Er konnte stehen und gehen. Und ging mit ihnen in den Tempel. (Apg 3)

Szenenwechsel.

Sie hat die OP überstanden. Sie ist in der Reha gewesen. Mühsam ist das alles. Unendlich mühsam. Sie fühlt sich wie 85, nicht wie 45. Wochen vergehen. Pillen, Spritzen, noch einmal eine andere Methode. Sie ist müde. Der neue Physiotherapeut schaut ihr aufmunternd in die Augen. Als sie auf seiner Pritsche liegt, fasst er ihr in die verspannten Muskeln und fühlt mit ihr. Oje. Ja, das tut weh. Das ist klar.

Nach Wochen steht sie erstmalig wieder richtig aufrecht. Gerade. Kopf sitzt wieder richtig auf dem Hals. Augen auf Horizont. Es ist verblüffend, wie anders diese Perspektive ist. Wie gut es sich anfühlt.

Sie schaut anders in die Welt. Sieht seine strahlend grünen Augen. Jetzt lachen sie.

Als sie aus der Praxis kommt, atmet sie auf, schaut auf die vorbeifahrenden Autos und fühlt sich leichter. Es ist alles genau wie vorher, aber es ist anders. So viel war es doch gar nicht. Aber sie fühlt sich gesehen und berührt. Sowas verändert. Im Namen Jesu will sie ihren Weg finden. Welcher immer der sein mag.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Ulrike Greim