Aus dem Haus

Wort zum Tage
Aus dem Haus
09.09.2019 - 06:20
13.06.2019
Ulrike Greim
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Das ist ein Schmerz. Er geht durch den ganzen Körper, drückt auf die Brust, hält den Kehlkopf fest und spannt sich bis unter die Schädeldecke. So schwer hatte er sich das nicht vorgestellt. Aber als er seinen Sohn samt Sack und Pack ins Studentenwohnheim fährt, da wird es mit jedem Kilometer heftiger. Er wird einsilbiger, während sein Sohn sprudelt. Vom Lieblingsprof, bei dem er schon hospitiert hat, von der Aussicht aus seinem Zimmerfenster, dass es hier auch eine ordentliche Basketballmannschaft gibt. Er kämpft mit den Tränen. Nur nicht heulen. Bloß nicht vor dem Jungen heulen, sagt er sich.

Es ist sein Jüngster. Die anderen beiden sind schon längst raus, gehen ihren Weg. Seit seine Frau viel zu früh gestorben war, blieb ihm noch der Jüngste zu Hause. Nicht, dass der eine große Hilfe war, er musste endlich raus aus dem Nest und rein ins Leben. Aber es war eben der letzte, der ihn noch zu einer Familie machte. Ab jetzt: das Alter. Die Einsamkeit.

Als sie da sind, packt er wortlos mit aus, trägt die Kisten nach oben. Sie trinken noch einen Espresso in der Cafeteria. Dann sagen sie Tschüs. Und der Junge sieht seine Tränen, obwohl er sie sich verkneifen will. „Du schaffst das, Vater!“, sagt der kleine Große.

„Ja ja, wird schon. Bin halt auch nur ein Mensch.“ Sie drücken sich, dann dreht er sich um und geht schnell durch die Tür. Fast die ganze Heimfahrt weint er bitterlich. Der Kleine, ob er zurechtkommt, er ist so unsortiert. Und hat er seine Medikamente eingesteckt? Er wollte noch die Batterien nachschauen in dem Lesegerät. Zu spät.

Du musst loslassen, sagt er sich selbst. Klar. Aber das ist so schwer. Es tut so verdammt weh.

Seine Jungs stehen auf eigenen Beinen. Er muss nicht mehr. Er darf aber auch nicht mehr. Wie hatte es ihn stolz gemacht, sie auf seinen Schultern zu tragen.

Lass laufen, sagt die alte Freundin, die ihn schon seit Kindertagen kennt, abends am Telefon. Lass laufen. Den Schmerz kannst du nicht überspringen. Trauer ist Trauer. Die braucht Zeit.

Einen Whiskey? Meinetwegen einen Whiskey, aber eine Lösung ist er nicht.

Er geht zeitig ins Bett, zieht die Decke über die Ohren und denkt lange tieftraurig nach. Es fühlt sich so an, als rutsche ihm alles durch die Hände.

Ganz spät kommt die WhatsApp von Sohn drei. „Alles prima hier. Ich denk an dich.“

Und sogar Sohn zwei schickt einen Gruß. Die müssen telefoniert haben.

Am nächsten Morgen beschließt er: Es ist Zeit, zu beten. Für die Jungs, für sich. Und überhaupt. Er beginnt mit diesem Vers von Paulus:

„Ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde, bis sie überfließt; reicher an Klarheit und Zartheit, so dass ihr prüfen könnt, was das Beste ist.“ (Philipper 1,9)

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Ulrike Greim