Bienen

Wort zum Tage
Bienen
24.04.2018 - 06:20
07.03.2018
Thomas Jeutner
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Zu den Bienen gehe ich meistens allein, damit sie möglichst nicht gestört werden. Es gibt seit zwei Jahren einen Bienenstock in unserem Gemeinschaftsgarten, dort, wo der Grenzstreifen der Berliner Mauer gewesen ist. Noch vor kurzem war der Garten eine Brache. Nach dem Abzug der DDR-Grenztruppen wurde sie vom nahen Friedhof als Lagerplatz genutzt. Hier an der Bernauer Straße blühen Gräser und Wildkräuter um die Wette. Betörend sind die Düfte der Linden und Ahorne, die vom Friedhof herüber wehen. Noch schneller, als die Formalitäten für die Genehmigung des Gartenprojektes erledigt waren, sollten die Bienen einziehen. Wir hatten ihnen schon einen abgelegenen Zipfel von dem verwunschenen Gelände gerodet.

 

Es war im späten April, so wie jetzt. Die Bienenvölker fingen schon an, zu schwärmen. Da erfuhr ich von den Imkerfreunden, dass sie in einem anderen Stadtteil einen Schwarm gefangen hatten. Ich bin Laie in Imkerfragen. Aber so viel wusste ich, dass ein schwärmendes Volk Tageslicht braucht und Wärme, um einzuziehen an seinen neuen Ort.

Leider war es regnerisch geworden. Es gab starken Wind. Erst lange nach Sonnenuntergang brachten die Imkerfreunde die Kiste mit dem Schwarm. Irritiert durch Sturm und Regen teilte sich das 20.000 Tiere zählende Volk auf. Klamm vor Kälte ballten sich Hunderter-Gruppen von Bienen zu Klumpen zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Mit Küchen-Kellen schöpften die Freunde im Dunkeln von den nahen Gräbern die Bienen zusammen und brachten sie zum neuen Bienenstock. Es war eine langwierige harte Arbeit. Die Freunde waren abgekämpft und zerstochen. „Wenn uns die Königin verloren gegangen ist, war alles umsonst“, sagten sie in der Nacht.

Den nächsten Morgen werde ich nie vergessen. Es war ein sonniger Apriltag. Aus der Stille des Gartens hörte ich das Summen, zunehmend lauter und lebendiger, je näher ich dem Bienenstock kam. Und ich sah sie tanzen, und vor dem Flugloch schweben: Majestätisch! Und wie seit Urzeiten selbstverständlich. Ich saß zwischen den Brenn-Nesseln und Goldruten und – lauschte. Und merkte, wie mir – vor Glück – die Tränen kamen.

 

Rund 2.200 Jahre alt ist das apokryphe biblische Buch Jesus Sirach, das über die Biene schreibt: „Die Biene ist klein unter allen, was Flügel hat und bringt doch die allersüßeste Frucht“. Uns im Garten brachte sie nicht nur manches Glas Honig. Die Bienen berührten uns auch mit der Erfahrung, dass sich die Natur auf einst verwundetem Grenzland wieder Heimat sucht.

07.03.2018
Thomas Jeutner