Das Böse im Gewand des Erhabenen

Wort zum Tage
Das Böse im Gewand des Erhabenen
14.03.2019 - 06:20
07.02.2019
Melitta Müller-Hansen
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„Es ist besser, dass ein Mensch für das Volk stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht.“ Das sagt im Johannesevangelium der Hohepriester Kaiphas. Der will den Hohen Rat, das höchste religiöse und politische Gremium zur Zeit Jesu, davon überzeugen, Jesus an die Römer auszuliefern. Irgendwie logisch und klar. Man wählt das kleinere Übel. Den Römern, die keinen Aufruhr dulden, diesen einen zum Fraß hinwerfen. Auch wenn er unschuldig ist. Und so viele andere retten. Und doch friert es mich bei dieser Art von Logik. Und ich denke an eine Beobachtung, die Hanna Arendt in ihren Überlegungen „Über das Böse“ beschreibt: Von Sokrates und Kant her sei die Moralphilosophie sich in einem Punkt einig – dass es für den Menschen unmöglich sei, das Böse um des Bösen willen zu wollen. Kain will nicht Kain, der Mörder werden, als er seinen Bruder Abel erschlägt. Er will etwas lösen für sich, er will sich behaupten, er will Ansehen erwerben. Das Böse umkleidet sich mit einem vernünftigen logischen Plan, mit einem größeren Ziel, mit einem nachvollziehbaren menschlichen Bedürfnis, das nur auf diese Art und Weise gestillt werden kann. Der Mensch kann das Böse wunderbar verpacken.

Hanna Arendt beschreibt diese Zusammenhänge auch für die Zeit der Nazidiktatur. Die Propagandamaschine hatte genügend logische Begründungen geliefert, warum alles genau so geschehen muss und seine Richtigkeit hat. Eine davon hieß: Man braucht Lebensraum im Osten für den Traum vom großen arischen Menschen und seinem 1000jährigen Reich. Der überwiegenden Mehrheit hat das eingeleuchtet. Und – so Hanna Arendt – sie gehörten zu der Gruppe von Menschen, die nie rebellieren, frei sind von Zweifeln. (Hanna Arendt, Über das Böse, S. 153, Piper Verlag München 5. Aufl. 2012.)

Ich frage mich: In wie viele solcher Denkmuster, in denen das Böse im Gewand des Erhabenen auftaucht, sind wir heute verstrickt? Wer fällt ihnen zum Opfer? Und: Wo gibt es in den Kirchen solche Denkmuster?

Ich glaube, der Umgang der Kirchen mit sexuellem Missbrauch hat sehr lange nach dieser Logik funktioniert. Schweigen, um die eigene Kirche nicht zu schädigen. Schweigen, um die Karrieren von Priestern und von Pfarrern nicht zu gefährden. Und darüber die Opfer aus dem Blick drängen. Das ändert sich jetzt langsam.

Aufdecken, zur Sprache bringen. Genau hinhören, genau hinsehen. Und auch sich selbst ins Wort fallen, wenn man sich dabei ertappt, in logischen Sätzen etwas Böses als gut und richtig zu verkaufen. Eine Wahrheitsübung in der Fastenzeit.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2019
Melitta Müller-Hansen