In dem Dazwischen

Wort zum Tage
In dem Dazwischen
30.01.2019 - 06:20
03.01.2019
Ulrike Greim
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Sie steht an seinem Bett auf der Intensivstation. Er hat die Augen geschlossen. Apparate piepen bei jedem Herzschlag. Eine Maschine atmet für ihn. Seine Frau hält seine Hand.

Tränen rollen über ihre Wange, sie will sie runterschlucken, aber es klappt nicht. Das soll es gewesen sein, Gott? Du reißt ihn mitten aus dem Leben? Wer soll das verstehen?!

Der Herzinfarkt war zu heftig, hatten die Ärzte gesagt. Sie täten das Möglichste. Es gebe Chancen, aber groß seien die nicht.

Vollbremsung für den schnellfahrenden Zug? Jetzt nur noch wenige Stunden?

Daran denkt man doch nicht. Man lebt doch so, wie immer. Steht morgens auf, trinkt die Tasse Kaffee, checkt schnell noch die Nachrichten, ein flüchtiger Kuss, dann Tasche schnappen und los. Und nun: Stille. Rhythmisches Piepsen.

Ja, er hatte nicht sehr gesund gelebt. Hatte seine Beschwerden gerne weggedrückt. Wollte nicht drüber reden. Ärzte mochte er nicht, außer Peter, aber der war ja ein Freund.

Sie lehnt sich zurück und schaut aus dem Fenster. Hätte sie etwas anders machen sollen? Was würde sie ihm sagen, wenn er noch einmal kurz aufwacht? Und warum hatte sie es ihm nicht schon längst gesagt?! Immer wieder! Was er ihr bedeutet. Und wie sehr ihr Leben mit seinem verwoben ist. Und wie gut das ist.

Nicht mehr warten, schießt es ihr durch den Kopf. Mit den wichtigen Dingen nicht warten. Erst das Wichtige, dann das Dringende. So hätte ihre To-Do-Liste aussehen sollen.

Hätte, hätte, Fahrradkette.

Wie kann es sein, dass einen der Alltag aufsaugt und scheinbar kein Platz mehr ist für die wichtigen Fragen: „Was machen wir eigentlich hier? Wer sind wir? Wozu stehen wir hier – Du und ich.

Sie möchte aufspringen, die Ärztin anschreien und sagen: „So tun Sie doch was“. Aber sie weiß ja, dass die hier alles tun. Das sagt der Kopf immer wieder. Das Herz fühlt es aber nicht.

„Gott ist auch in dem Dazwischen. Zwischen Himmel und Erde. Da, wo dein Mann jetzt schwebt. Und es ist alles richtig.“ So sagt es die Freundin mutig, die neben ihr steht. Die Hand auf ihrer Schulter. Sätze im Indikativ Präsens.

Wie kann die da so sicher sein?!

Die Freundin glaubt stellvertretend.

Und steht dann auch neben ihr, als sie die Rosen auf den Sarg wirft, ein leises ‚Tschüß’ hinterherspricht. Mehr geht gerade nicht.

 

Eines Tages wird sie die Vergangenheit ansehen wie ein Gemälde und wieder ins Heute kommen. Leben. Im Indikativ Präsens. Ich bin hier. Ich bin gerne gesellig. Kein Konjunktiv mehr. Kein „Ich würde gerne, falls...“. Sondern jetzt leben. Das Wichtige tun. Sagen, was verbindet. Denn Gott ist im Himmel. Und in dem Dazwischen. Und eben auch hier.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2019
Ulrike Greim