Der Alptraum des Lichts

Wort zum Tage
Der Alptraum des Lichts
25.10.2018 - 06:20
07.09.2018
Eberhard Hadem
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Anfangs – so heißt es in der hebräischen Bibel über die Schöpfung – anfangs war die Erde tohu wa bohu, wüst und leer. Dann wird das Licht geschaffen, das auf dieses Tohuwabohu fällt: Und Gott sah, dass es gut war. Ich lasse meine Phantasie etwas spielen und stelle mir vor, das Licht könnte wie eine Person handeln, denken und fühlen. Vermutlich hat sich das Licht sehr gefreut über das Lob Gottes. Über der wüsten und leeren Erde schwebend dachte es: Durch mich wird jetzt alles hell und gut auf Erden. Es war ja schließlich das Licht und hatte eine Aufgabe! Schon nach kurzer Zeit fragte es sich: ‚Nun, was muss ich machen? Was kann ich noch tun?’ Es rannte immer hektischer hierhin und dorthin, immer in Hetze. Das Licht lief unermüdlich von Osten nach Süden bis gen Westen. Es ärgerte sich, dass es den Norden so wenig erreichen und erhellen konnte – und wurde doch nach einer Weile immer müder. So viel hatte es sich vorgenommen, so viel gab es zu tun. Das Licht wurde immer gereizter und unausgeglichener. Obwohl es sich ungeheuer anstrengte, war es am Ende unzufrieden. Es gab so viele Orte, wo es noch dunkel war. Immer öfter stöhnte es: ‚Das schaffe ich nie. Auch das noch!‘ Das Licht hatte das Gefühl, der Schöpfer habe es doch nicht perfekt geschaffen. Der Groll auf ihn saß tief. Vergessen war, dass der Schöpfer von einer restlosen Bekämpfung der Dunkelheit nichts gesagt hatte. So kämpfte das Licht beinahe bis zur völligen Erschöpfung gegen die drohende Dunkelheit – bis, ja bis Gott eine Grenze zog. Und zu dem Licht sagte: ‚Tag’. Und zur Dunkelheit: ‚Nacht’. Ich stelle mir vor, wie das Licht der Schöpfung im Nachhinein, in der Dunkelheit, erschrocken erkannte, in welchen Albtraum es sich hatte hineinziehen lassen. Als müsse es die Welt retten. Als würde ohne es gar nichts mehr funktionieren. Als sei es dazu verdammt, ohne Unterbrechung weiterzumachen, mit immer weniger Gefühl, immer weniger Freude. Für das Licht der Schöpfung war die Dunkelheit die Rettung. Es stimmt, Dunkelheit kann Menschen Angst machen: Ich kann nichts mehr tun. Ich sehe kein Licht am Horizont. Ich fühle mich hilflos. Aber manchmal besteht genau darin die Rettung, dass mein Albtraum unterbrochen wird, hart, aber heilsam, dass mir eine klare Grenze gesetzt wird und ich ein Stoppschild nicht übersehe. So wie dem Licht diese Grenze gesetzt wurde: Gott trennte das Licht von der Finsternis. Gott nannte das Licht Tag, die Finsternis aber nannte er Nacht. Es wurde Abend, es wurde Morgen: der erste Tag. Und Gott sah, dass es gut war (Genesis 1,5-6).

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.09.2018
Eberhard Hadem