Der Mensch – ein Garten?

Wort zum Tage
Der Mensch – ein Garten?
29.07.2020 - 06:20
09.07.2020
Eberhard Hadem
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Ein Garten kann wirklich ein Paradies sein. Viele stellen sich den Garten Eden vor wie eine ursprüngliche erste Welt voller Schönheit und grenzenloser Harmonie. Doch die Bibel beschreibt den Paradiesgarten anders. Dort ist er ein ausgesparter Raum mitten in einer Welt, die schon vor ihm da ist. Er ist ein umhegter, verschlossener Grund. Lateinisch hortus oder griechisch paradeisos bedeuten ‚umzäunt‘. Erst die Begrenzung macht aus einem Stück Natur einen Garten. Der Welt ein Stück abgerungen, hineingesetzt in diese Welt, hineingepflanzt, angelegt von Gott selbst, das ist ‚Eden‘, das Paradies, sagt die Bibel.

Ein Garten hat immer einen Zaun, eine Hecke oder sonst eine Grenze. Auch das Paradies gibt es nicht ohne sie. Wahrscheinlich ist es gewöhnungsbedürftig, das so zu sehen. Jemand könnte sagen: ‚Nur ein wilder Garten ist ein guter Garten. Es soll alles grenzenlos wachsen, so wie jede Pflanze es mag.‘ Doch gibt es das in der Natur und in der Kultur der Gärten? Grenzenloses Wachstum? Selbst der Dschungel hat seine Grenzen.

Vor über 30 Jahren ließ die Frau meines Lehrpfarrers einen kleineren Teil des bis dahin sehr akkurat gepflegten Pfarrgartens in einem fränkischen Marktflecken regelrecht verwildern; damals für manche noch ein Aufreger. In dem wilden Teil tummelten sich die Bienen und viele andere nützliche Insekten, von den wunderbaren Schmetterlingen mal ganz abgesehen. Und auch beim größeren Teil des Gartens war es eine Freude, ihn anzuschauen, wie er mit Hilfe eines grünen Daumens aufblühte. Die Mauer um den Pfarrgarten herum hat aus ihm ein Paradies gemacht. Der Wildheit wurde Raum gelassen und zugleich anderes gezielt gestaltet.

Für mich liegt darin auch eine Analogie zwischen einem Garten und einem Menschen: Wenn ich den Menschen selbst als einen Garten verstehen will, dann braucht auch er zweierlei, um paradiesisch zu werden: Seine Wildheit braucht einen eigenen Raum, sonst verkümmert er. Es ist das Wilde, das ihn offen macht für das, was von außen an Impulsen, an Begegnung, an Inspiration zu ihm kommt, ihn befruchtet.

Aber er braucht auch die klare Hand einer Gärtnerin, eines Gärtners, die jeder Pflanze den Boden geben, um das Beste hervorzubringen, das in ihr steckt. So wie auch jeder Mensch eine Umgebung braucht, darin sich seine Energien bündeln und ihre beste Wirkung entfalten können. In der seine Gaben und Talente gefördert werden, weil die umhegten Grenzen das Beste in ihm wachsen lassen. Das Wilde und das Zielgerichtete – beides soll in ihm, dem Menschen, aufblühen, soll strahlen und leuchten.

09.07.2020
Eberhard Hadem