Die Tugend der Geduld

Wort zum Tage
Die Tugend der Geduld
06.05.2019 - 06:20
28.02.2019
Autor des Textes: Diederich Lüken
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„Geduld ist die Tugend des Alters.“ Das behauptete jedenfalls ein Mann im stolzen Alter von 82 Jahren und er fuhr fort: „Gemessen daran bin ich noch ein ganz junger Mann.“ Auch das Alter hatte es nicht vermocht, seine Ungeduld zu zähmen. Wozu auch geduldig sein? Die meisten begehren es, sofort bedient zu werden, schnell zum Ziel zu kommen! Dabei ist die Geduld die Schwester der Tapferkeit. Behauptet kein Geringerer als der antike Philosoph Aristoteles. Sie ist aber nicht nur der Tapferkeit nahe verwandt. Die Geduld ist die Gefährtin der Hoffnung. Demnach hat Ungeduld mit Mutlosigkeit zu tun: Ich habe einfach nicht die Kraft, auf das Begehrte noch zu warten. Es muss jetzt geschehen. Außerdem hat die Ungeduld mit der Hoffnungslosigkeit zu tun: Es nützt ja alles Warten nichts, das begehrte Ziel ist ja doch nicht zu erreichen. Ungeduldig wende ich mich näherliegenden Dingen zu. Jedoch zeitigt die Geduld manchmal Früchte, die dann doch unerwartet sind. In der biblischen Geschichte von Joseph ist es vor allem die Geduld, die ihn schließlich zu hohen Ehren kommen lässt. Von seinen Brüdern wird er in einen Brunnen geworfen. Sie ziehen ihn wieder heraus und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Er bekommt eine Vertrauensstellung bei einem hochstehenden Beamten der ägyptischen Hierarchie. Nach einem vorgetäuschten Ehebruch landet der junge Mann im Gefängnis. Dort zeichnet er sich durch Umsicht und Fleiß aus und steigt zum stellvertretenden Oberaufseher auf. Außerdem betätigt er sich erfolgreich als Traumdeuter. Das bringt ihn schließlich an den Hof des Pharao, wo er eine drohende Hungerkatastrophe abwendet. Der Pharao macht ihn zu seinem Vizekönig. Am Ende versöhnt Joseph sich noch mit seinen Brüdern und trifft seinen alten Vater, der geglaubt hatte, der Sohn sei von einem wilden Tier gerissen geworden. In allen diesen Widerfahrnissen verliert Joseph nie die Contenance, sondern er besteht sein Geschick mit nie versiegender Geduld – offenbar in der Hoffnung, am Ende werde sich alles zum Guten wenden. Dabei hält er sich offen für die Überraschungen, die ihm das Leben bietet. Wäre er ungeduldig gewesen, hätte er seine Chancen wohl rasch verspielt. Was Joseph auszeichnete, ist in Zeiten der grassierenden Ungeduld eine beherzigenswerte Empfehlung. Die tiefe Bedeutung der Dinge, die Offenheit für Überraschungen, das Aushalten in schweren Zeiten, das alles eröffnet sich allein dem Geduldigen. Die Geduld sollte deshalb nicht nur die Tugend des Alters sein, sondern eine Übung für das ganze Leben. Im Buch Sirach, zu den apokryphen Schriften des Alten Testamentes zählend, steht erstaunlicherweise, dass sogar Gott Geduld hat – mit uns Menschen. Wo wären wir wohl sonst?

 

Es gilt das gesprochene Wort.

28.02.2019
Autor des Textes: Diederich Lüken