Ein Kreuz und Marzipan

Wort zum Tage
Ein Kreuz und Marzipan
21.11.2018 - 06:20
07.09.2018
Dirck Ackermann
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Es war Ende April in London. Sonntagmorgen. Ein ungemütlicher Morgen. Der Regen schien horizontal zu fallen. So fühlte sich jedenfalls mein Gesicht an.

Ich war auf dem Weg zu einem Gottesdienst. St Clement Danes. Eine Kirche aus dem 17. Jahrhundert. Englischer Barock.

Auf dem Platz vor der Kirche sehe ich Statuen von Menschen in Uniform: Royal Airforce, britische Luftwaffe. Ich lese die Namen am Fuß der Statuen. Die meisten Namen sagen mir nichts, nur einer: Air-Marshall Harris. Diesen Namen kenne ich: Bomber Harris. Erfinder des Flächenbombardements auf deutsche Städte. Städte meiner Heimat kommen mir sofort in den Sinn: Hamburg, Kiel und natürlich Lübeck. Die alte stolze Hansestadt, Stadt der sieben Türme, und natürlich Stadt des besten Marzipans der Welt. Lübeck war die erste Stadt, auf die britische Bomber ihre todbringende Fracht abgeworfen haben. St. Marien wurde stark beschädigt. Und auch die Marzipanfabrik. Zerstörung von Kirchen im Krieg, als ob das kriegswichtige Ziele wären.

So stehe ich nun im kühlen London, vor dieser Statue, vor dieser Kirche. Ich gehe in die Kirche. Herrliche barocke Einrichtung. Fliesen im Schachbrettmuster. Barocke Altäre. Doch dann sehe ich Photographien. Bilder dieser Kirche, wie sie in Flammen steht. Der Kirchturm brennt wie eine Fackel. Also auch hier, denke ich. Auch hier Bombenhagel und Zerstörung, Zerstörung einer Kirche. Doch hier war es die deutsche Luftwaffe.

Gewalt und Gegengewalt. Und nach allem sieht man nur Zerstörung. Ein wahrer Teufelskreis. Doch heute wollen wir gemeinsam Gottesdienst feiern. Gottesdienst im Zeichen der Versöhnung. Im Zeichen des Nagelkreuzes von Coventry. Es ist das Versöhnungszeichen, das gleich nach dem ersten Bombenangriff der Deutschen in einer zerstörten Kirche errichtet wurde. Nun steht das Nagelkreuz auch hier, in St Clement Danes, in der von Bomben zerstörten und nun wieder aufgebauten Kirche. Und ich bin eingeladen, um mitzufeiern, dass die alte Feindschaft überwunden ist und wir miteinander Versöhnung erleben.

Als Gastgeschenk habe ich Lübecker Marzipan mitgebracht. Marzipan aus meiner Heimat.

Abends sitzen wir dann gemütlich am warmen Kamin. Und ich erzähle die Geschichte von Lübeck, von der zerstörten St. Marienkirche und der Marzipanfabrik. Das Feuer knistert. Der Rotwein wärmt das Herz. Und am Ende essen wir gemeinsam das Marzipan. So kann Versöhnung schmecken.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.09.2018
Dirck Ackermann