Friede sei ihr erst Geläute...

Wort zum Tage
Friede sei ihr erst Geläute...
29.07.2019 - 06:20
13.06.2019
Julia Rittner-Kopp
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Bei über 35 Grad, an einem Nachmittag um 17 Uhr (!), läuten die Glocken. Und zwar alle. Fenster gehen auf, Nachbarn schauen hinaus. Viele Leute wundern sich und bleiben stehen. Die meisten sind extra hergekommen, manche sogar von weither. Jetzt stehen sie im Schatten des Kirchturms und im Getöse der Glocken. Ältere sitzen auf Bänken, andere auf den Stufen vor der Kirche oder einfach so am Boden. Radfahrer halten an, Familien stellen sich zusammen - die Kinder im Wagen oder auf dem Arm. Überall Sonnenhüte und bunte Käppis. Einige schauen sich um und vergewissern sich in den anderen Gesichtern: Nein, es ist nichts Schlimmes passiert, kein Alarm, keine Katastrophe. Im Gegenteil. Alle hier sind jetzt stille Konzert(!)gäste - generationsübergreifend, multi-kulti, nachbarschaftlich. Nach einer Dreiviertelstunde schweigen die Glocken und alle klatschen Beifall. Auf dem Platz bricht Jubel aus. Das Glockenkonzert ist zu Ende. Gespräche beginnen.

So war es am letzten Sonntag im Juni in Nürnberg. Da haben ab 17 Uhr die Glocken der Friedenskirche geschwungen, geklungen, ja, gefeiert und gelacht. Elf Glocken insgesamt - und die Friedensglocke ist die größte unter ihnen. Lange war sie verschollen. So wie viele Glocken in Kriegszeiten. Als tödliches Material für Munition sind sie im ganzen Land gesammelt und eingeschmolzen worden. Aber einige nicht. Die sind mit Glück und Segen wieder aufgetaucht. So wie diese Friedensglocke. Vor siebzig Jahren hat sie dann das erste Mal nach dem 2. Weltkrieg wieder geläutet. „Mit Euch allen sei Gottes Friede“ sagt ihre Inschrift. Damit meint sie die Toten aller Kriege und Zeiten - und die Lebendigen. Die in den Fahrradanhängern und in den offenen Fenstern, die mit den Sonnenhüten, die mit all ihrer Sehnsucht und Sorge.

Im Läuten der Friedensglocke klingt Gottes Friede dunkel und schwer. Alles Dunkle und Schwere schwingt mit. So erinnert ihr Klang jeden Freitag das Stadtviertel an Golgatha. Wie Kirchenglocken an vielen Orten läutet sie zur Sterbestunde Jesu. Zum Innehalten, zum Beten, zum Gedenken und Danken. Meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt gibt, euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht, sagt Jesus.

Darin schwingen 74 Jahre Frieden in unserem Land mit.

Mein Nachbar hat den Krieg miterlebt. Jeden Freitag öffnet er seine Balkontür, um der Friedensglocke zuzuhören. Sie kann gar nicht laut genug sein, findet er.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Julia Rittner-Kopp