Gegenbild

Wort zum Tage
Gegenbild
11.09.2017 - 06:20
07.09.2017
Michael Kösling

Manche Bilder haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis gegraben. Man sieht sie, und weiß sofort, wo und was. J. F. Kennedy in seiner offenen schwarzen Limousine kurz vor den tödlichen Schüssen. Das nackte Mädchen auf der Flucht vor der Napalmwolke 1972 im Vietnamkrieg. Marcy Borders, die so genannte Staubfrau vom 11. September 2001, heute vor 16 Jahren. Aylan Kurdi, der syrische Junge, der tot an den türkischen Strand angespült wurde. Zwei Jahre ist das her.

 

Oft sind es Bilder aus den Schatten, der Finsternis der Welt. Unser Zeitalter ist ja auch ein ikonographisches. Ein Bild sagt heute mehr als viele Worte. Bilder sind machtvoll ohne Worte. Sie halten uns den Ort vor Augen, an denen wir als Menschheit stehen.

 

Wir Menschen sind noch nicht dort angekommen, von wo es sich lohnt, Postkarten an unsere Kinder und die ihnen nachfolgende Generation zu schreiben. Seht, wie schön es hier ist. Wir müssen uns das Motiv noch hart erarbeiten, es zu einem Bild des Friedens arrangieren, schauen, dass auch jeder gut sichtbar und niemand vergessen ist.

 

Es wird viel von den Bildern abhängen, die unsere Hoffnung malt. Göttliche Verheißungen entwerfen Bilder, als Stützen für unseren Weg durch diese Welt, die noch aus vielen Wunden blutet. Bilder wären das, die niemals ganz mit Worten beschrieben und endgültig besprochen sind.

 

Ein befreundeter Künstler, Jakob Roepke, hat ein Bild von der zukünftigen Stadt, vom Himmlischen Jerusalem gemalt. Es hängt über meinem Schreibtisch. Ich schaue es oft an und komme nicht zu einem Ende. Dem Gemälde liegt die biblische Vision zugrunde, dass Gott abwischen wird alle Tränen und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid und Geschrei, in der Stadt mit Straßen aus Gold und Mauern aus Jaspis und offenen Toren, über denen der Glanz Gottes leuchtet.

 

Und viel mehr ist in diesem Bild enthalten. Es ist die Macht, die Augen offen zu halten und mehr zu erwarten, als das, was man kennt und was erwartbar ist. Mehr von der Welt mit ihren Alternativlosigkeiten, mehr von uns Menschen und unseren Ausreden und mehr von Gott, der dieses Bild ja endlich auch ins Werk setzen soll.

 

Es ist ein großes Gegenbild. Es legt sich wie zum Trotz über die Schattenbilder dieser Welt. Bis es uns vor Augen steht, arbeiten wir weiter daran, dass sichtbar wird, was sich unauslöschbar, kaum sagbar und, zugegeben, ein bisschen unglaublich, in unsere Herzen und Seelen gegraben hat – ins kollektive Gedächtnis einer anderen Zukunft.

07.09.2017
Michael Kösling