Halbvoll

Wort zum Tage
Halbvoll
25.01.2021 - 06:20
21.01.2021
Ulrike Greim
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Für Ute ist das Glas anscheinend immer halbvoll. Wie macht sie das nur? Sie ist freischaffende Schauspielerin. Pünktlich mit dem Lockdown im letzten März sind bei ihr die Mails eingetrudelt mit den Absagen. Reihenweise. Nur ihre theaterpädagogischen Kurse konnten weiterlaufen. Auch online. Und von ihr: kein Wort der Klage. Im Gegenteil.

„Ich gehe fast täglich spazieren“, sagt sie. „Ich mache Sport, morgens eine Viertelstunde, abends 20 Minuten.“ Im Sommer erzählte sie, dass sie jetzt Niederländisch lernt. „Koffie verkeerd heißt Milchkaffe, witzig was?“ Ja. Und sie macht einen Kurs in Gebärdensprache. Ihre Hände wirbeln durch die Luft. Sie sagt „Hallo“ und „Wie geht es ihnen“ und „Danke gut“.

Sie hat einen großen Wissensdurst und füllt die freie Zeit mit dem Lesen von Sachbüchern, mit Online-Angeboten, die kostenlos zu haben sind oder für kleines Geld. Gerade lernt sie an irgendeiner Volkshochschule, wie man Fördermittel akquirieren kann.

Wenn wir spazieren gehen, dann sprudelt sie. Dass sie sehr dankbar sein kann. Was sie gerade alles wieder Schönes entdeckt hat. Dieses Internet ist ja unendlich. Und dass sie froh ist, so oft schon gelernt zu haben, dass das Leben unsicher ist. Dass man eigentlich nie weiß, was kommt. Aber üblicherweise kommt etwas.

Ich bewundere sie. Mein Gehalt läuft weiter. Ich sitze im Trockenen. Denke ich zumindest. Aber sie, sie muss sich ständig neu erfinden. Sie ist eine kluge Frau mit einem geradezu kindlichen Glauben. Sie betet einfach um die grundlegenden Dinge. Sie dankt Gott, wenn alles Wichtige da ist. Ein lieber Mann – er ist übrigens auch selbständig – eine warme und schöne, helle Wohnung, ein voller Kühlschrank. Das ist schon viel. Und aber eben auch eine Arbeit, die Spaß macht.

Sie betet für gute Aufträge. So einfach ist das, frage ich?

Sie: „Da er eh weiß, wo du hinsollst, kannst du alles Mögliche beten. Aber du kriegst das, was auf deinem Weg liegt. Manchmal sieht man rückblickend erst, was nicht sein sollte“, sagt sie.

Wir stapfen dick eingemummelt durch das Kirschbachtal. Es schneit ein wenig. Der Himmel ist grau. Vielleicht ist es der Sport, der ihre Laune aufhellt, denke ich. Oder wie bleibt man in einer solchen Situation fröhlich? Sie sagt, das sei bei allen Freischaffenden immer das Thema. Es brauche immer die Bereitschaft, sich neu zu erfinden. Aber sie empfinde sich als privilegiert, weil sie diesen inneren Anker hat. Und mit diesen Worten betet sie: „Du, Gott, weißt, wo du mich haben willst, wo ich mit dem, was du in mich gelegt hast, was bewirken kann. Du weißt die Leute, die für mich gut sind, und für die ich gut bin. Stell sie mir genau in den Weg, dass ich sie sehe.“

Ich sehe Ute; und ich bin dankbar.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

21.01.2021
Ulrike Greim