„Ich bin ein Geschichtenerzähler.“

Wort zum Tage
„Ich bin ein Geschichtenerzähler.“
03.08.2019 - 06:20
13.06.2019
Julia Rittner-Kopp
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Nehmen Sie einfach die Geige zur Hand und spielen Sie den Kindern was vor - so lautete der Ratschlag eines alten Lehrers an einen Berufsanfänger. Das war in einer Zeit, als die Lehrer noch Schulmeister hießen. Also, bei Disziplinschwierigkeiten - einfach Geige spielen? Schöne Idee, guter Vorschlag. Nur dass der frischgebackene Lehrer keine Geige hatte und also auch nicht drauf spielen konnte. Aber eines, das konnte er gut, sehr gut: Geschichten erzählen. Und das rettet ihn und seinen Unterricht - und viel früher noch rettete es sein Leben.

Dieser junge Schulmeister und Geschichtenerzähler war Otfried Preußler.

Wunderbare Kinderbücher hat er im Lauf seines Lebens geschrieben und damit Lese-Kinder und Vorlese-Familien beglückt. Die kleine Hexe, Der starke Wanja, Der kleine Wassermann, Der Räuber Hotzenplotz und Krabat.

Es hat geklappt: Geschichten erzählen statt Geigespielen.

Otfried Preußler erzählt davon in der Sammlung „Ich bin ein Geschichtenerzähler“.

Wie er mit Geschichten großgeworden ist. Die Großmutter auf dem Dorf saß abends neben dem Küchenherd und hat erzählt. Angeblich standen ihre Erzählungen alle in einem Buch geschrieben. Aber dieses Buch hat es niemals gegeben. Irgendwann sind die Kinder dahinter gekommen, dass die Großmutter die Geschichten erfindet. „Dieses Buch, das es nicht gab“, schreibt Otfried Preußler später, „war das wichtigste Buch meines Lebens.“

Dunkelstunde hieß die Geschichtenzeit mit der Großmutter. In ganz anderen und viel dunkleren, in finsteren Stunden hat Otfried Preußler dann selber mit dem Erzählen angefangen. Als junger Mann in russischer Gefangenschaft. An den endlosen Abenden hat er gegen Hunger und Heimweh anerzählt. Seine Mitgefangenen und er erzählen einander Geschichten, ihre eigenen, erinnerte und erfundene. Sie spielen auch kleine Theaterstücke. Sie brauchen Geschichten zum Leben, zum Leben-verstehen und zum Weiterleben.

Alles Bücherschreiben später hat mit diesem Erzählen zu tun, mit den Dunkelstunden bei der Großmutter und den Finsterstunden in Gefangenschaft. Preußler erzählt nach drei Grundregeln. Erstens: Wer erzählt, muss etwas zu sagen haben. Und, zweitens, sein Handwerk verstehen. Die dritte Regel ist die wichtigste: Das Publikum kennen und ehren und vor allem lieb haben.

So stärken und trösten Preußlers Bücher, sie bringen zum Lachen und Weinen und sie verlocken zum Glauben an das Gute.

Ja, warum nicht einander mehr erzählen von dem, was uns heilig ist und uns bewegt und - was zum Vergessen zu schade ist?

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Julia Rittner-Kopp