Ich will nicht so bleiben, wie ich bin

Wort zum Tage
Ich will nicht so bleiben, wie ich bin
14.03.2020 - 06:20
30.01.2020
Diederich Lüken
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Du kannst mit der Eisenbahn fahren, wohin du willst, durch Länder und Kontinente. Eines ist unausweichlich: „Wie du auch die Welt durchflitzt ohne Rast und Ruh – : Hinten auf dem Puffer sitzt: du“. So hat es Kurt Tucholsky formuliert. Es gibt keinen Ort in dieser Welt, an dem ich mich selbst loswerde. Friedrich Nietzsche drückt diesen Gedanken so aus: „Wohin ich auch gehe, folgt mir ein Hund namens ‚Ego’“. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn ich mit meinem Ego, mit mir selbst nicht zufrieden bin. Wenn mir mein Ego tatsächlich vorkommt wie ein Hund. Ich werde meinen Idealen nicht gerecht. Ich kann meinen destruktiven Neigungen nicht entkommen. Aber so will ich nicht bleiben. Es hilft nichts, ich bin dazu verurteilt. Es gibt nur die eine Möglichkeit: von sich selbst wegzuschauen auf etwas Größeres hin. Doch wo ist dieses Größere? Ein Dichter in der Bibel sagt: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da“ (Psalm 139,7). Das ist ein Gebet hin zu Gott. Das heißt, dass Gott mich durchschaut, wenn ich mein Ich nicht loswerde. Es gibt keinen Ort in dieser Welt, an dem ich dem kritischen Auge Gottes entfliehen könnte. Für den Psalmdichter scheint das zunächst bedrohlich zu sein. Aber er kommt später zu der Erkenntnis: es ist tröstlich, diesen kritischen Begleiter des Ich um sich zu wissen: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele“ (Psalm 139,14). Indem er weiß, dass er von Gott begleitet wird, verliert seine Ichbezogenheit seine Kraft. Das kann zu einer tiefen emotionalen Erfahrung führen. Davon singt ein Lied aus der jüdischen Folklore. Martin Buber hat es überliefert. Es wird zärtlich das „Dudele“ genannt. „Wo ich gehe – du! Wo ich stehe – du! Nur du, wieder du, immer du! Du, du, du! Ergeht`s mir gut – du! Wenn`s weh mir tut – du! Nur du, wieder du, immer du! Du, du, du! Himmel – du, Erde – du, Oben – du, unten – du, Wohin ich mich wende, an jedem Ende Nur du, wieder du, immer du! Du, du, du!“ Vor dem göttlichen Du verlasse ich mich selbst und finde mich in ihm wieder. Aber ich bin nicht mehr derselbe. Ich weiß mich gehalten und getröstet von diesem großen Du. Hier hängt mein Ego mir nicht mehr an den Fersen. Indem es dem großen Du begegnet, wird es frei von der zwanghaften Ichbezogenheit.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Diederich Lüken