Kriegskinder

Wort zum Tage
Kriegskinder
Wort zum Tage von Pfarrerin Kathrin Oxen
29.08.2019 - 06:20
08.08.2019
Kathrin Oxen
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Ein Foto, schwarz-weiß natürlich, wie alle Fotos aus dieser Zeit. Drei Kinder, ein Mädchen mit Brille und langen Zöpfen, die große Schwester. Ihre beiden Brüder sind jünger. Sie sehen aus, wie Kinder auf Fotos vom Fotografen eben aussehen: Hübsch angezogen und möglichst glattgekämmt. So wie auf dem Foto war es nicht oft, erzählt mir das Mädchen mit den Zöpfen am Kaffeetisch. Sie ist jetzt über achtzig und hat eine weiße Dauerwelle. „Ich hatte keine Kindheit“, sagt sie. Sie schluckt.

Was haben die Kinder vom Zweiten Weltkrieg mitkommen? Am Vormittag des 1. September 1939 wurde die Rede Adolf Hitlers im Radio übertragen. Er sagte, dass jetzt Krieg sei. Die Kinder waren in der Schule. Hitler hatte von Zurückschießen und von Vergeltung gesprochen. Irgendwann kam dann der Brief nach Hause, dass der Vater Soldat werden und bei dem Zurückschießen mitmachen musste. Sie machten noch ein Familienfoto. Der Vater packte es sich gut ein. Sie sahen ihn danach nicht mehr oft.

Es fielen Bomben auf das Haus. Sie saßen im Keller. Sie mussten von zuhause weg und konnten gar nichts mitnehmen. Sie hatten Hunger und zu kleine Schuhe. Die Mutter weinte. Sie musste streng mit ihnen sein. Kleine Geschwister starben. Dann kam ein Tag im Mai und es war Frieden. Viele der Kinder lebten nun ganz woanders. In Lagern und Baracken zuerst, später, wenn es gut ging, in bescheidenen Häuschen und einfachen Wohnungen. Sie waren die Flüchtlinge. Und jetzt sind sie alt, die Kriegskinder. Ihre Geschichten gleichen sich häufig. Die frühe Kindheit schildern sie meistens hell und freundlich, behütet und idyllisch. Und dann kommt immer der Krieg. Dann wird es dunkel. Und sie sind verloren und allein.

Heute, fast genau 80 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, wissen wir, wie es endete mit diesem Krieg. Dass der Frieden kam im Mai und der Neuanfang, der Wiederaufbau. Und es wieder heller wurde.

Und wir schlagen auch ein neues Kapitel im Buch der Erinnerung auf. Die Zeit, in der die Täter und die Opfer noch am Leben waren, ist fast vorbei. Die Rede von Schuld und Verantwortung nicht. Denn der Krieg hat sich eingeschrieben in so viele Leben als ein großes dunkles Kapitel voller Schmerz und Sinnlosigkeit. Der Krieg bekommt Kinder und sogar Enkel. Noch leben Menschen unter uns, die uns davon erzählen können. Das Mädchen mit der Brille und den Zöpfen zum Beispiel.

Es gilt das gesprochene Wort!

08.08.2019
Kathrin Oxen