Mein Mittel gegen Angst

Wort zum Tage
Mein Mittel gegen Angst
22.05.2020 - 06:20
15.05.2020
Sabrina Greifenhofer
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

In den vergangenen Wochen hat das Corona-Virus in unserem Leben vieles umgeworfen: Weltvernetzung ist zur Gefahr geworden, Abstand zur Fürsorge, Vorfreude ist bitter geworden in einem Ausnahmezustand, dessen Ende nicht absehbar ist.

Wie diese Veränderungen sich langfristig auf uns auswirken werden? Niemand weiß das zu sagen. Es herrscht große Ungewissheit. Eine Zukunft, in der Pläne keinen Halt finden. Das macht mir Angst. Angst lähmt mich, das spüre ich ziemlich schnell.

Und wenn ich die Angst spüre, ziehe ich eine Person zu Rate, die sich gut mit Angst auszukennen scheint.

Die Berliner Dichterin Mascha Kaléko findet in einigen ihrer Gedichte bezeichnende Worte für Angst, die sie entschärfen. Mit Kalékos Worten hat die Angst weniger Einfluss auf mich. In einem ihrer Gedichte heißt es: „Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond“.

Lichter in der Dunkelheit. Etwas Wegweisendes im Aussichtslosen. Etwas Gutes im Schlechten. Aber mache ich es mir zu einfach damit? Tröste ich mich mit Floskeln? Alles hat zwei Seiten… Wo Schatten ist, ist auch Licht…

Nein! Sich konkret in einer Situation zu finden, die Bedrohung festzustellen und dabei den Himmel und seine Möglichkeiten nicht aus den Augen zu verlieren – das ist anspruchsvoll.

Mir gingen diese Gedanken in einer für mich außergewöhnlichen Situation durch den Kopf: als ich mit dem Fahrrad durch Berlin unterwegs war. Ich bin nämlich seit fünfzehn Jahren nicht mehr auf ein Fahrrad gestiegen.

Und nun: Ich auf zwei Rädern durch Berlin. Auf dem Weg zur Arbeit, weil es geboten war, den Nahverkehr zu meiden. Und nun, in dieser leeren Stadt, mit verlassenen Straßen und freien Kreuzungen, traute ich mich, was mir in einem Berlin vor wenigen Wochen noch nicht möglich gewesen wäre.

Veränderungen werfen Gegebenheiten um, und plötzlich geht, was vorher unwahrscheinlich erschien. Sich diese Chancen bewusst zu machen, ist nicht immer einfach. Das steckt auch in den Worten von Mascha Kaléko, finde ich: Die Sterne sind am Nachthimmel manchmal nur schwer auszumachen. Aber sie sind da. Und ich werde sie wieder sehen. Das tröstet mich.

Das lässt mich handlungsfähig bleiben. Das kuriert die Lähmung. Das lässt mich weitermachen. Das ist mein Mittel gegen Angst.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

15.05.2020
Sabrina Greifenhofer