Menschengedenken

Wort zum Tage
Menschengedenken
21.12.2019 - 06:20
12.12.2019
Lukas Pellio
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„Wo von 1961-1989 eine Grenze aus Mauer und Stacheldraht das Zusammenleben von Menschen gewaltsam verhinderte, begegnen sich jetzt Besucherinnen und Besucher aus allen Kontinenten. Mit der Erfahrung dieser Jahre erinnern wir heute an noch bestehende Grenzen. Gemeinsam bestärken wir uns in der Hoffnung auf ihre Überwindung.“

 

12 Uhr, Mittagsandacht in der Kapelle der Versöhnung auf dem ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer.
Wir sitzen in einem zu Kreuz und Kerzenschale hin offenen Kreis. 15 Minuten Stille und Gebet für die Toten an der Grenze.
Mindestens 140 Menschen verloren in 28 Jahren an der Berliner Mauer ihr Leben.
Ihnen gedenken wir unter der Woche jeden Mittag.
Heute ist Samstag: Da halten wir an diesem Ort Andacht für die Toten an den europäischen Außengrenzen:

 

„So viele Menschen haben an den Grenzen ihr Leben verloren. Heute gedenken wir besonders einer Person. Wir kennen ihren Namen nicht. Alles was wir wissen, stammt aus einer dürren Pressemeldung:

„Eine Person wurde am 13.12.2017 tot in einem Boot nahe der Insel von Alborán aufgefunden; 68 Überlebende wurden gerettet.“

 

Wir trauern gemeinsam um einen Menschen, der an einer unserer Grenzen starb.

Geht das, können wir um einen Menschen trauern, von dem wir nichts wissen, außer Zeit und Ort seines Todes?

Ich höre täglich von Toten im Mittelmeer oder jetzt im Winter auf der Balkanroute. Seenotrettung wird von den europäischen Regierungen weiter verweigert und behindert.

Meine Trauer und meine Wut wachsen; und das ist gut und angemessen. Meine Wut droht aber zynisch zu werden. Ich suche eine Hoffnung, die das auffängt.

 

Meine Erfahrung zeigt: Die Hoffnung wächst aus der Trauer.

Seit 2014 sind über 15.000 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken.

15.000 Tote und von den meisten kennen wir keine Namen, keine Geschichte.

 

Stille in der Kapelle.

 

Wir leihen uns Worte eines alten Psalmgebets in neuer Übersetzung. Suchen Zuflucht in seinen Worten.

Die Heilige baut Jerusalem wieder auf,

sammelt die Vertriebenen Israels.

Sie heilt die, deren Herz zerbrochen ist,

verbindet ihre Wunden.

Sie zählt die Zahl der Sterne,

ruft sie alle beim Namen.

Die Heilige hilft den Elenden wieder auf,

wirft die Gewalttätigen zu Boden.

(Psalm 147)

 

Ich brauche diese Worte, die meine Wut und meine Trauer bergen. Worte, die eine Hoffnung aussprechen, wo mir die Worte fehlen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

12.12.2019
Lukas Pellio