Mit Vernunft und Gottes Hilfe

Wort zum Tage
Mit Vernunft und Gottes Hilfe
04.06.2019 - 06:20
28.02.2019
Autor des Textes: Michael Becker
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Ich mag seine Perücken. Er ist schon lange tot, aber Gotthold Ephraim Lessing (1729 -1781) trug gerne Perücken in der Öffentlichkeit. Das machten auch Männer damals, um 1770. Sie wollten vornehm und edel aussehen wie Frauen, wenn sie in Gesellschaft waren. Das war Lessing oft. Als Schöpfer von Theaterstücken und Streitschriften. In einer seiner Schriften steht der Satz:

Auf wen alle schlagen, der hat vor mir Friede.

Lessing war Pfarrerssohn und sehr begabt. Er wollte aber nicht Pfarrer werden wie sein Vater und Großvater. Er fand die Kirche zu verkrustet. So lernte er alles andere: Geschichte, Philosophie, Theater - und schrieb das Stück seiner Zeit für den deutschen Geist: Nathan der Weise. Das brachte ihm viel Ruhm und viel Ärger. Wie kann man nur tolerant sein, sagte nicht nur die Kirche. Wie kann Friede sein zwischen Christen, Moslems und Juden. Darum geht es in dem Stück, vor über 250 Jahren schon. Wo Lessing darstellt, dass es die eine wahre Religion nicht gibt. Und wir einander achten müssen, unbedingt. Was das heißt, sagt sein kleiner Satz:

Auf wen alle schlagen, der hat vor mir Friede.

            Das ist so einfach: Immer laut über die schimpfen, auf die sowieso schon alle schimpfen. An denen vorbeigehen, an denen andere auch vorbeigehen. Schwieriger ist, Augen und Ohren offen zu halten und zu fragen: Warum hat der eigentlich einen schlechten Ruf? Was hat die denn getan, dass alle über sie jammern. Offene Augen und Ohren kommen der Sache näher, klären etwas auf. Wenn alle immer nur das Gleiche machen, kommen wir nicht weiter. Wenn alle wogegen sind, stehen wir still. Das wollte Lessing nicht, der Aufklärer. Er wollte verstehen, was zu verstehen ist. Und alle achten, die ihren Glauben an Gott vernünftig leben, ohne Missgunst und Gewalt. Tolerant, sagt man dazu oft. Ich sage: einfühlsam. Sich einfühlen - hinter die Kulissen anderer. Da ist oft mehr, auch mehr Not, als wir uns vorstellen konnten. Und viel Mangel. Deswegen muss man dahinter schauen, hinter schöne Kleider oder ärmliche. Mit Vernunft und Gottes Hilfe. Und nicht auch noch spotten oder wegsehen. Sich einfühlen, so weit es eben geht. Dann findet man eher zum Frieden.

Es gilt das gesprochene Wort.

28.02.2019
Autor des Textes: Michael Becker