Miteinander weinen

Wort zum Tage
Miteinander weinen
25.03.2020 - 06:20
30.01.2020
Angelika Scholte-Reh
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Zornig sitzt Max in der Küche, neben ihm Ben, sein Freund und Klassenkamerad.

Ungerecht sei das alles und gemein. Der Berufsschullehrer hat Max beschimpft und beleidigt. Was die Beiden von den Worten und Gesten des Erwachsenen berichten, ist wirklich nicht respektvoll. Und als Max versucht hat, das zu klären und seinen geschätzten Lehrmeister einbezog, wurde es noch schlimmer. Natürlich sei das alles nicht wahr gewesen. Ausreden, Lügen. Eine Respektsperson ist dieser Lehrer nicht mehr. Und der Meister hat ihm auch noch geglaubt. Das ist das Schlimmste. Wütend entwickeln die Jugendlichen alle möglichen Phantasien, was sie tun und wie sie sich rächen könnten. Die Note in diesem Fach fließt ins Fachabitur ein. Der Lehrer sitzt am längeren Hebel. Da ist einem Menschen Unrecht geschehen. Für mich hört sich die Lehrerseite nach Angst und Überforderung an. Einfach ist das sicher in der Berufsschule nicht! Der Lehrer hat sich zielgerichtet einen Jungen herausgesucht, der den Respekt der anderen hat und dessen Wort etwas gilt. Der soll ihm nicht gefährlich werden! Machtspiele.

Ich frage nach, versuche mit den Jugendlichen zu verstehen, was da geschehen ist. Zorn, Wut und Enttäuschung füllen den Raum. Was er sonst noch fühlt? frage ich. „Nichts!“ sagt Max.

Als ich mir vorstelle, wie es mir in dieser Situation gehen würde, macht sich eine Träne in meinem Auge selbständig und läuft meine Wange hinab. Erst schaut Max mich irritiert an. Dann verändert sich sein Mienenspiel, Tränen laufen auch über seine Wangen und der Schmerz bricht aus ihm heraus. Er fühlt sich so ohnmächtig. Die Lüge hat sein gutes Verhältnis zum Meister gestört. Der, dem er vertraut hat, vertraut ihm nicht mehr. Der Meister und der Lehrer telefonieren regelmäßig. Und immer wieder muss er hören, was dieser Schlechtes über ihn sagt. Ich spüre seine Ohnmacht und Hilflosigkeit und seine Sehnsucht nach einem Erwachsenen, der ihm glaubt und vertraut.

Die Tränen lösen den Knoten in seiner Seele. Als Max sich langsam beruhigt, können wir gemeinsam auf die Situation sehen und nach Lösungswegen suchen. Die Situation mit dem Lehrer will er in Zukunft durch sein Verhalten möglichst entschärfen, mit seinem Lehrmeister will er noch einmal reden und gemeinsam mit seinem Freund seine Sicht der Dinge darstellen.

Freut euch mit den Fröhlichen. Weint mit den Weinenden. (Römer 12,15) heißt es in der Bibel. Als ich am Abend diesen Tag zurück in Gottes Hände lege, bin ich dankbar für die eine Träne, die mir den Weg zu Max geöffnet hat; und Max den Weg zum Schmerz in seinem Inneren.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Angelika Scholte-Reh