Natur setzt auf Ausgleich

Wort zum Tage
Natur setzt auf Ausgleich
10.09.2019 - 06:20
13.06.2019
Ulrike Greim
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Es ist dieses traumhaft schöne Gefühl, verbunden zu sein, als wir aus dem Kino kommen. Mit allen. Ob die das wissen oder nicht. Mit denen, die aus dem Zombiefilm nebenan kommen, mit der Frau am Ticketschalter, mit dem jungen Kerl, der Popcorn macht. Und mit allen, die wir dann auf der Straße sehen.

Eben hat die Animation gezeigt, wie unter dem Waldboden alle Wurzeln miteinander kommunizieren. Auf der großen Kinoleinwand sahen wir, wie sich die Bäume absprechen, vor gefährlichen Insekten warnen, wie die großen Bäume Nährstoffe an die jungen weitergeben, wie die im Licht die im Schatten mitversorgen mit Mineralstoffen. Wie Informationen über weite Strecken gehen, scheinbar mühelos. Und dann zieht die Kamera auf und zeigt, wie auch über dem Erdboden alle verbunden sind. Die Gräser, die Pilze, die auch mal aushelfen mit nützlichen Infos, die Luft, die Sonne, die Insekten, die größeren Tiere und die Waldspaziergänger. Also wir. Wie alles mit allem verwoben ist. Schwingt ein Teil, schwingen andere mit. Leidet ein Teil, leiden andere mit. Blüht eines, leben auch andere auf.

Alles ist auf Ausgleich bedacht in diesem großen komplexen Wunderwerk, genannt Schöpfung.

Wir gehen durch die Innenstadt. Und je weiter wir gehen, umso mehr merken wir, wie sich dieses Gefühl verliert. Wie wir wieder in die übliche „Ich-muss-jetzt-erstmal-für-mich-sorgen-Haltung“ kommen. Und wie uns das einsam macht.

Zuhause hält der Rest des guten Gefühls genau noch solange an, bis ich ins Internet gehe.

Denn da kommen diese Nachrichten von den Menschen auf den Rettungsschiffen. Und ich merke, dass ich das nicht ertragen kann. Und will. Und scrolle schnell weiter.

Wie viele Tote? 100? Und 115 Vermisste? Und wie viele aktuell, die nicht an Land gelassen werden? Erst recht die Tausende auf dem Grund des Mittelmeeres!

Ich will nicht verbunden sein.

Ich will, dass ich das nicht mehr fühlen muss. Diesen Schmerz. Die Wut. Aber auch den Drang, verdammt nochmal, jetzt endlich etwas zu tun. Es macht mich ohnmächtig.

Und doch weiß ich, dass wir alle verbunden sind. Die in Not und die in Frieden. Die auf dem Mittelmeer und wir auf dem Sofa. Alles ist verbunden. Alle Menschen, alle Wesen, alle Natur. Die Informationen gehen hin und her. Wir können unsere Kanäle verschließen, die Schotten hochfahren und bleiben doch in Kontakt. Wir können die Hand vor die Augen halten und sagen: Ich sehe das nicht. Unsere Seele weiß es genau. Und es kostet Kraft, die Solidarität zurückzuhalten. Denn wir sind verbunden erschaffen.

Die gute Nachricht lautet: Die Natur sucht oft sehr kreativ Wege, zu helfen, so gut es eben geht. So sind wir gedacht. Als findige Wesen, die produktiv werden. Als vernetzte Menschen auf diesem einen Planeten mitten im großen Kosmos.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Ulrike Greim