Nicht meine Lager

Wort zum Tage
Nicht meine Lager
29.01.2019 - 06:20
03.01.2019
Ulrike Greim
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Es ist eine dieser Veranstaltungen, hier bei uns in Weimar, die mich unruhig machen.

Da sitzt ein wunderbarer älterer Herr, er ist in diesen Tagen gerade 90 Jahre alt geworden, Ivan Ivanji heißt er, Schriftsteller, Diplomat, aus Belgrad. Er erzählt von Auschwitz, dann von Buchenwald. Und wie er beides überlebt hat als 15/16-jähriger. Nüchtern und gefasst. Sehr präzise. Messerscharf in der Analyse. Es geht um die perfiden Strukturen, wie überall noch mehr Menschen noch effektiver unterdrückt und versklavt wurden, ausgebeutet und hingerichtet. Am Ende wird er gefragt, was er sich wünscht. Und da sagt er, dass bei ihm nun nichts mehr zu machen sei. Geschichte sei Geschichte. Aber dass jede Generation ihre eigenen Themen zu lösen habe. Und das aktuelle Thema sei ja klar: Die Flucht von Millionen Menschen und dieser fürchterliche Reflex, die Schotten dicht zu machen, wenn andere leiden.

„Kein Kind, das im Mittelmeer ertrinkt, stirbt besser, als ein Kind, das in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde“, sagt Ivan Ivanji.

Und wir Zuhörerinnen und Zuhörer sitzen kerzengerade auf unseren Stühlen. Es ist unbequem.

Es ist an uns, zu sagen, was menschlich geboten ist. Und laut Nein zu rufen, wo dies ignoriert wird.

Fast zeitgleich in den Nachrichten: SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen sehen sich gezwungen, die Seenotrettung im Mittelmeer einzustellen. Sie wurden über viele Monate hinweg systematisch behindert, verleumdet und angegriffen. Hilfe vor dem Ertrinken – sie ist fast nicht mehr möglich. Die Organisationen sehen sich von der Europäischen Union und namentlich auch von der Bundesregierung im Stich gelassen.

Stattdessen werden neue Lager gebaut. Wie mag das in den Ohren von Ivan Ivanji klingen?

Ankerzentren in Deutschland. Die Transitzonen, z.B. zwischen Ungarn und Serbien und die zehn EU-Hotspots in Italien und Griechenland, wo Schutzsuchende festgehalten und bevorzugt wieder abgeschoben werden. Demnächst sogenannte Ausschiffungsplattformen an den afrikanischen Küsten, wo es für Flüchtende kaum noch möglich sein wird, Europa zu erreichen. Ganz zu schweigen von den Lagern, die in Nigeria entstehen, weil die Bundesregierung eine Milliarde Euro investiert, damit Flüchtende dort bereits abgefangen werden.

Um dies klar zu sagen: Nicht in meinem Namen!

Ich beraube mich selbst meiner Menschlichkeit, wenn ich stillschweige und zuschaue. Abstumpfen ist keine Option.

Hellwach verfolgt Ivan Ivanji die Meldungen aus Deutschland und der EU. So oft er gefragt wird, hält er uns den Spiegel hin. Und er schaut uns dabei in die Augen und sagt: Jetzt seid ihr dran.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2019
Ulrike Greim