Sich wieder aufrichten und wachsen

Wort zum Tage
Sich wieder aufrichten und wachsen
14.03.2018 - 06:20
01.03.2018
Marianne Ludwig
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Alles wirkliche Leben ist Begegnung, hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gesagt. Begegnungen können Menschen verändern, an Leib und Seele. Das kann man ihnen dann auch ansehen.

 

Von solchen Begegnungen erzählt die Bibel öfter. Zum Beispiel die Geschichte mit Jesus und der gekrümmten Frau. Es war an einem Sabbat, als Jesus in einer Synagoge lehrte. Der Saal ist voller Menschen und sie hat sich an den Rand gestellt. Plötzlich ruft Jesus sie zu sich. Wie unangenehm muss es ihr sein, als jetzt alle Augen auf sie gerichtet sind. Die meisten dort kennen sie, denn mit ihrem Aussehen fällt sie auf. Seit 18 Jahren ist ihr Rücken so stark gebogen, dass sie den Kopf nicht mehr aufrecht tragen kann. Wann hat sie wohl zuletzt einem Menschen frei ins Gesicht schauen können?

 

Es heißt, ein schlimmer Geist habe sie so niedergedrückt. Immerhin: Noch bringt sie den Mut auf, dem Ruf Jesu zu folgen und sich in die Mitte zu stellen. Als Jesus sie direkt anspricht, geschieht etwas mit ihr. Ihr gekrümmter Rücken beginnt sich zu strecken. Als Jesus ihr sogar seine Hände auflegt, kann sie sich ganz aufrichten. Endlich verliert das Schlimme seine Macht über sie. Mit Dankbarkeit und Freude preist sie ihren Gott.

Aber nicht alle sind begeistert; vor allem der Gemeindevorstand protestiert. Er hält Jesus vor, dass er an einem Sabbat geheilt, also: gearbeitet hat. Für fromme Juden ist das strikt verboten, denn auch Gott hat am siebten Tag geruht.

 

Vielleicht geht es aber gar nicht um ein religiöses Problem. Sondern um die Frage, ob diese unansehnliche Frau, dieses Nichts, eine Übertretung des Verbots überhaupt wert ist? Jesus trifft den wunden Punkt: „Ihr Heuchler!“ Und dann gibt er der namenlosen Frau einen einzigartigen Ehrentitel: „Ist sie nicht eine Tochter Abrahams?“

 

So gesehen gehört diese Frau in die Mitte. Sie soll nicht am Rand stehen oder gar außerhalb der Gemeinschaft. Welche Last auch immer sie niedergedrückt hat, sie ist aller Achtung wert. Wer mit solchem Respekt angesehen wird, kann sich selbst anders wahrnehmen. Denn Töchter und Söhne Abrahams sind Menschen, die sich immer wieder aufrichten und wachsen, manchmal sogar über sich selbst hinaus.

01.03.2018
Marianne Ludwig