Stalingrad-Madonna

Wort zum Tage
Stalingrad-Madonna
Wort zum Tage von Pfarrerin Kathrin Oxen
26.08.2019 - 06:20
08.08.2019
Kathrin Oxen
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„Ist das wirklich echt?“ fragt mich einer meiner Konfirmanden.  Heute steht für die Gruppe eine Kirchenerkundung auf dem Programm – auch in einer so bekannten Kirche wie der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. „Sucht euch einen Platz in der Kirche aus, der Euch besonders gut gefällt“, das war die Aufgabe. Einige Konfirmandinnen und Konfirmanden sitzen nun auf den schwarzen Stühlen vor der „Stalingrad-Madonna“. Dieses Bild ist zu Weihnachten 1942 im Kessel von Stalingrad entstanden. Der Truppenarzt und Pfarrer Kurt Reuber hat die Marienfigur gemalt. In ihrem weiten Mantel birgt sie das Jesuskind - und wohl für einen Moment auch die Soldaten in ihrer aussichtlosen Lage. Die Worte „Licht – Leben - Liebe “ sind groß auf das Bild geschrieben. Wie durch ein Wunder konnte die Stalingrad-Madonna aus der eingekesselten Stadt noch gerettet und ausgeflogen werden.

Am 26. August 1983 übergab Kurt Reubers Familie das Bild der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Seitdem hängt es dort, wirklich in echt. Würde man es aus dem Rahmen nehmen und umdrehen, wäre auf der Rückseite die Landkarte Russlands zu sehen, auf die es gezeichnet ist. Eine der Landkarten, die dann tatsächlich nicht mehr gebraucht wurden. Denn die Schlacht um Stalingrad endete am 2. Februar 1943. Die Verluste der sowjetischen Armee und die Opfer unter der Stalingrader Zivilbevölkerung waren noch weitaus höher als die der besiegten Deutschen.

„Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns!“ schrieb Kurt Reuber über sein Bild in einem Brief an seine Frau.

Seit vielen Jahren gibt es einen Austausch zwischen Kirchengemeinden hier in Berlin und dem früheren Stalingrad, das heute Wolgograd heißt. In diesem Frühjahr hatten wir einen Chor aus Wolgograd in der Gedächtniskirche zu Besuch. Jungen und junge Männer haben im Gottesdienst für uns gesungen. Das war ein Moment des Friedens und der Versöhnung, in echt. Wenn man unsere Lage bedenkt, unsere deutsche Geschichte und das spannungsreiche Verhältnis zwischen der ehemaligen Sowjetunion und Deutschland, dann ist es ein Geschenk, dass diese jungen Männer nicht als Feinde, sondern als Freunde zu uns kommen. Die Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe ist größer als Dunkelheit, Tod und Hass.

Es gilt das gesprochene Wort!

08.08.2019
Kathrin Oxen