Sturm und Stille

Wort zum Tage
Sturm und Stille
17.01.2018 - 06:20
10.01.2018
Pfarrerin Kathrin Oxen
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Zwanzig Jahre lang hat sie auf ihn gewartet. Sie musste die Stadt verlassen, weil er ein angesehener und außerdem verheirateter Mann war. Als ihre Affäre schon Stadtgespräch geworden war, beschloss man über ihren Kopf hinweg, sie fortzuschicken. Verheiraten wollte sie sich aber auf keinen Fall. Lieber lebte sie als Haushälterin und Gesellschafterin in fremden Haushalten.

 

In seinem Roman „Sturm und Stille“ fühlt sich der Schriftsteller Jochen Missfeldt in das Leben von Doris Jensen ein. Sie ist die langjährige Geliebte und zweite Frau Theodor Storms. Als seine Frau Constanze nach der Geburt des siebten Kindes stirbt, können Storm und Doris Jensen doch noch heiraten. Sogar eine gemeinsame Tochter wird ihnen geboren.

 

„Es muss gegangen sein“, mit diesem fatalistischen Lebensmotto ihrer Mutter übersteht Doris all die Jahre des Wartens. Und ab und zu hilft es ihr, am Meer zu stehen und ihren Kummer „in die Wellen der Nordsee zu jagen“. Auf Fotos sieht man Doris Jensen wenig von den Erfahrungen ihres Lebens an, von den nach außen so stillen Jahren und den Stürmen in ihrem Inneren.

 

Nicht zwanzig, aber vierzehn Jahre musste ein anderer Liebender auf die Frau seines Lebens warten. Die Bibel erzählt die Geschichte von Jakob. Auch er geht von zuhause weg, nach Haran, zu seinem Onkel. Dort verliebt er sich in seine Cousine Rahel und soll sie auch zur Frau bekommen – wenn er sieben Jahre dafür arbeitet. Jakob lässt sich darauf ein. „Es kam ihm vor, als wären’s einzelne Tage, so lieb hatte er sie“, heißt es in der Geschichte. Nur leider wird Jakob in der Hochzeitsnacht ausgetrickst. In seinem Bett liegt nicht Rahel, sondern ihre Schwester Lea. Jakob muss noch einmal sieben Jahre arbeiten, um endlich mit gemeinsam mit Rahel fortgehen zu können. „Es muss gegangen sein“, auch für Jakob. Und sicherlich wäre auch seine Geschichte Stoff für einen großen Roman.

 

Husum und Haran, Nordsee und Wüste – unterschiedlicher können die Orte und Zeiten kaum sein, in denen sich die Geschichten von Doris Jensen und von Jakob abspielen. Was sich gleicht: Beide sind bereit, die Zeiten der Stille auszuhalten, auch wenn in ihrem Innerem Stürme toben. Sie halten sich fest an ihrer Liebe und an ihrer Sehnsucht nach Erfüllung. Auch wenn es ganz und gar ungewiss ist, ob es jemals dazu kommen wird. Und beide werden am Ende ihre Liebe leben können.

 

Sturm und Stille gibt es wohl in jedem Leben. Und das ist nicht nur Stoff für Romane, sondern es ist aufgeschrieben und aufgehoben auch in der Bibel, im Buch der Geschichten Gottes mit seinen Menschen. Für mich heißt das: Gott ist dabei, im Sturm und in der Stille. Und besonders dann, wenn „es gegangen sein muss“.

10.01.2018
Pfarrerin Kathrin Oxen