Und dann wird unser Mund voll Lachens sein

Wort zum Tage
Und dann wird unser Mund voll Lachens sein
09.11.2019 - 06:20
29.08.2019
Christina-Maria Bammel
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„Humus statt Mauern“. Diese Botschaft ist in englischer Sprache in großen Buchstaben an eine acht Meter hohe Betonmauer geschrieben. Diese Mauer steht in Betlehem. Sie ist Teil einer 800 Kilometer langen Sperranlage. Meine Tochter läuft an dieser Mauer entlang. Sie liest die darauf gemalten Sprüche, fotografiert die Zeichnungen und schickt sie mit einem Klick gleich mal den Freundinnen nach Berlin weiter. Mit Grüßen aus Betlehem, der Stadt, die wie keine andere auf der Welt die Geburt Jesu feiert und das ganze Jahr erinnert. Wie klein die Teenagerin jetzt mit ihren ein Meter sechzig wirkt vor diesem hohen Koloss. Nun möchte sie eine Erklärung für das, was sie vor Augen hat. Das ist nicht leicht zu erklären. Nie wieder will das Volk Israel Opfer sein, es will sich schützen. Das ist nur der Anfang einer Erklärung. Aber die Tochter weiß, wovon ich spreche, denn zu Hause in Berlin hat sie selbst schon vor dem 9. November Stolpersteine für ermordete Berliner und Berlinerinnen jüdischen Glaubens geputzt. Eigentlich kann alles Erklären nicht erfassen, welches Leid, wie viele Tränen in dieser Absperrung, in ihrer Vorgeschichte und ihrer Gegenwart stecken. Der Betonwall steht bereits länger, als meine Tochter auf dieser Welt lebt. Ich wünsche mir, dass das Unglaubliche geschieht und sie erleben wird, dass eine Mauer bei Betlehem nicht mehr nötig sein wird. Bin ich naiv angesichts der Konfliktlage des Nahen Ostens? Sind das nur die Träume einer Durchreisenden? Ich war nur wenig älter als meine Tochter heute, als eine Mauer meine Heimatstadt teilte. Bis zu jenem neunten November, der eine neue Welt brachte. „Wenn uns der Herr aus der Gefangenschaft führt, werden wir sein wie Träumende – den Mund voller Jubel.“ Diese Gebetsworte aus dem Buch der Psalmen verbinden sich für mich mit der Nacht, in der das Wunder geschah. Diese Nacht gibt Raum für noch mehr und noch tiefere Erinnerung. Erinnern wir auch die, die den glücklichen Ausgang der friedlichen Revolution nicht mehr erlebten und vor der Zeit starben. Erinnern wir die, die zu Störfaktoren im Getriebe von Diktaturen wurden und die Konsequenzen nicht fürchteten. Erinnern wie auch jene, die schwach wurden in ihrer Angst, die den Mut vor der Zeit verloren oder nie fanden. Was sie brauchen, weiß Gott und lässt uns Worte finden, mit denen wir bitten: „Herr, wende unser Schicksal zum Guten, so wie du die Bäche füllst nach langer Trockenheit“ (Ps 126, 4).

                  

Es gilt das gesprochene Wort.

29.08.2019
Christina-Maria Bammel