Unmögliches wagen

Wort zum Tage
Unmögliches wagen
02.01.2020 - 06:20
05.09.2019
Evamaria Bohle
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Es gibt da diese Gruselgeschichte einer nächtlichen Seefahrt im Matthäusevangelium. Mit Sturm und Gespenstern und furchtsamen Männern: Es ist so finster, dass man die Hand nicht vor Augen sieht und dann sieht doch jemand etwas. Der schreit auf, und der neben ihm kauert, folgt mit den Augen dem plötzlich ausgestreckten Arm, der in die Nacht weist. Und wirklich: Da draußen, wo nichts und niemand sein dürfte, wabert es: Etwas wie eine Gestalt nähert sich dem Boot. Es ist zu dunkel, um sie wirklich zu erkennen. Doch etwas ist da. Und die Angst brandet auf.

Sie ist ewig jung, diese Angst. Wir sind doch so nackt unter unseren Kleidern. Wehrlos ohne Goretex, Mobilitätsgarantie und funktionierende Heizung. Nur Haut, Knochen, Herz, Hirn und Hormone. Und diese Sehnsucht nach Sicherheit für uns und unsere Kinder. Und, wenn wir bei Verstand sind, auch für anderer Leute Kinder.

Denn wir sitzen ja alle in diesem Boot und jenseits der Reling wartet das Sterben. Nur kurze Zeit ohne Sauerstoff und alle Träume sind ausgeträumt. Unter Wasser ist keine Zukunft. Außerhalb unseres Bootes wohnt das Versinken. Was ist zu tun gegen die Angst?

Eine gute Nachricht ist: Niemand braucht auf dem Wasser zu gehen. Man darf auch im Boot bleiben, mit den anderen, in die Finsternis starren, sich fürchten. Man darf sich aneinanderdrängen und unter den Wind ducken, frieren und beten und warten auf den Silberstreif am Horizont. Darauf hoffen, dass es wieder Tag wird, der Wind sich legt und die Küste nah ist. Fürchte dich nicht, ist jetzt ein gutes Mantra.

Eine gute Nachricht ist auch: Einer von uns traut seinen Augen nicht, sieht keine Gespenster, wo alle anderen Gespenster sehen, erkennt Hoffnung, wo die anderen in Angst untergehen. Dieser eine kratzt all unseren Mut zusammen, klammert sich an die schwankende Reling und glaubt, dass es da draußen einen Weg gibt.

Vor unser aller Augen tut er das vollkommen Verrückte, setzt auf die Hoffnung, geht über Bord, wagt Schritt für Schritt das Unmögliche. Das Noch-nie-Dagewesene: Traut sich. Geht, wo man nicht gehen kann. Und es geht. Zwar nicht lange gut, und wir Bedenkenträger im Boot haben es vorher gewusst. Aber er schafft es zurück an Bord, und es wird Tag und der Sturm ist vorüber.

Ja, Papier ist geduldig. Ja, es ist eine dieser Jesusgeschichten, und auch die braucht einen, der sich traut. Aber einer reicht. Das ist die gute Nachricht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.09.2019
Evamaria Bohle