Unter den milden Augen Gottes

Wort zum Tage
Unter den milden Augen Gottes
09.05.2018 - 06:20
07.03.2018
Michael Becker
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Schön ist der Satz. Und schwer ist er auch, das gebe ich zu. Aber da er so wertvoll ist, sage ich den Satz gerne weiter. Er ist vom deutschen Dichter Botho Strauß (geb. 1944) und lautet:

                  

Ohne die Gewißheit, Erkannte zu sein,

hielten wir uns keine Sekunde aufrecht.

 

Ich brauche diesen Satz: Ohne die Gewißheit, Erkannte zu sein, hielten wir uns keine Sekunde aufrecht. Aufrecht will ich ja sein, möglichst. Ich will nicht gebeugt oder geduckt durchs Leben gehen. Zum Glück muss ich das auch nicht; ich werde ja erkannt. Menschen sehen mich als Menschen, kennen mich, schauen mich an und reden mit mir. Gott sieht mich, kennt mich und schaut mich hoffentlich wohlwollend an. Bestimmt nicht immer. Ich lebe ja oft nicht nach seinem Willen, das gebe ich zu. Dann jammere ich zu viel oder denke schlecht über Menschen. Manchmal merke ich es, manchmal nicht. Und wohl viel zu oft fühle ich mich im Recht. Selbst dann, wenn ich gar kein Recht habe. Aber das alles darf ich mal kurz beiseitelassen und mich freuen, dass ich trotz allem aufrecht bleiben und aufrecht denken kann: Ohne die Gewißheit, Erkannte zu sein, hielten wir uns keine Sekunde aufrecht.

 

Wenn es Menschen sind, die mich ansehen und wahrnehmen, ist das schon der Anfang vom Glück. Gott schaut ja oft durch Menschen auf mich. Die auf mich aufpassen, mir etwas raten oder ihr Zeit schenken. Menschen, die meine Fehler eher mild ansehen und nicht lospoltern, wenn ich ihnen geschadet habe. Wir leben, weil wir gesehen und erkannt werden. Wer das spüren will, sollte sich nicht wegducken aus dem Leben, sondern selber hinsehen auf andere. Möglichst freundlich. Möglichst milde. Glück ist, dass wir einander sehen und erkennen. Dass wir nie einfach von selbst richtig sind, sondern alle doch oft am Suchen sind. Nach wertvoll sein, nach: Anderen etwas bedeuten. Also erkannt werden, wie wir sind. Und nicht so bleiben müssen. Jeder, jede kann anders werden. In jedem Augenblick. Jeder Mensch darf auch gut sein heute, unter den milden Augen Gottes: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

07.03.2018
Michael Becker