Unterschätze den Höchsten nicht

Wort zum Tage
Unterschätze den Höchsten nicht
29.06.2020 - 06:20
25.06.2020
Ulrike Greim
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Lieber K.,

ich schreib dir einfach mal, weil wir neulich am Telefon nicht weitergekommen sind. Und weil ich wütend war und ratlos. Ich kann dich verstehen, wenn du sagst, du bist zu alt, dich jetzt noch vor die Kamera zu stellen, nur, weil das jetzt alle machen. Musst du nicht. Kein Pfarrer muss jetzt ein YouTuber werden. Erst recht, so kurz vor dem Ruhestand, wie du. Überlass das gerne denen, die Lust haben und am besten auch ein Händchen dafür.

Was mich ärgert ist, dass du denkst, Kirche gibt es nur in der Kohlenstoffwelt. Und ‚so, wie wir das immer machen‘.

Als wenn Kirche nicht immer schon virtuell dagewesen wäre – übermittelt durch Worte auf Papyrus zum Beispiel. Und: Als wenn sich Kirche nicht verändern darf.

Das war die Chance der letzten Monate: Dieses ‚das machen wir immer so‘ war mal kurz ausgeknipst. Du hast dich aufgeregt. „In unsrem Landkreis gibt es keinen Infizierten“ hast du gesagt, ohne es zu wissen.

Und du hast dich gut dabei gefühlt. Widerständig, so wie 1989.

Ich glaube, du hast einfach Angst vor Veränderung.

Angst davor, auch mal eben nicht zu wissen, wie der Hase läuft.

Unsicherheit muss man aushalten können. Hast du das nicht auch hin und wieder gepredigt? Ich meine: früher?

Damals konntest du das besser managen. Ich habe deinen Mut bewundert, 1989 mit einer der ersten zu sein, die hier auf die Straße gegangen sind. Die mit offenen Worten ihre Freiheit riskiert haben. Du hattest gemerkt: Es liegt etwas in der Luft, es ruft nach Veränderung, wir müssen uns bewegen.

Und jetzt gehörst du zu denen, die sagen: Es muss alles so bleiben, wie es immer war.

Aber ich glaube: Jetzt ist wieder so ein Moment. Da liegt Veränderung in der Luft. Überall, auch in unserer Kirche. Wir müssen uns bewegen – absehbar ganz dringend sogar. Aber wir dürfen auch. Der Schub ins Digitale ist ein Anfang. Denn da haben sich auch viele kreative Formate gezeigt, da wurde Gemeindearbeit anders gedacht.

Erstens bitte ich dich: Rede nicht schlecht darüber. Es ist nicht alles peinlich, was kirchlicherseits auf YouTube zu sehen ist.

Zweitens: Hab Respekt vor denen, die neue Wege gehen. Die auch erst suchen und tasten und verwerfen und dann wieder wachsen. Manche über sich hinaus.

Drittens: Es ist ok, wenn du keine großen Schritte mehr machst. Hast genug geleistet in deinem Leben. Du darfst ausruhen.

Aber viertens: Unterschätze den Höchsten nicht. Was, wenn er dir jetzt sagen will: Wir stehen vor einer neuen Zeit. Wärest du bereit, das zu hören? Und wie genau müsste er es dir sagen?

Gott wächst mit allen, die genau hinhören und dazulernen, die sehr fein fühlen, was gerade dran ist. Gott stirbt mit unserer Angst davor, die Routinen zu ändern.

Herzlich und immer noch verbunden – Deine U.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

25.06.2020
Ulrike Greim