Rot

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Edward Howell

Rot
von Pfarrer Hannes Langbein
13.06.2023 - 06:20
10.05.2023
Pfarrer Hannes Langbein
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 „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.“ Das schrieb die amerikanische Dichterin Gertrude Stein 1913 in ihrem Gedicht „Sacred Emily“ – in einem poetischen Versuch, die mit Bedeutungen am stärksten aufgeladene Blume aus unserem Blumenrepertoire für einen Moment aus ihren allzu klaren Bedeutungshorizonten zu befreien. „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.“

Später sagte die Dichterin: „Ich bin kein Narr, ich weiß, dass Rosen rot sind.“ Und rot steht nun einmal für Liebe. Natürlich auch für Blut, Feuer, Sünde und Erotik – damit auch für die Macht der Verbote und deren Übertretung. Ein Freund hat mir einmal erzählt, er habe seinen Kindern beigebracht, wenigstens einmal am Tag etwas Verbotenes zu tun – als eine Übung zur Freiheit und zur Prüfung von notwendigen oder nicht notwendigen Regeln.

Sofort gingen bei mir die roten Alarmsignale an. Aber zugleich gefiel mir der revolutionäre Impuls für den Alltag der Kleinen: Warum nicht schon von Kindesbeinen an prüfen, welche Regeln zum Leben dienen und welche nicht? „Alles ist erlaubt, es soll euch aber nichts gefangen nehmen“, schreibt der Apostel Paulus – und lässt nur solche Regeln gelten, welche die einmal gewonnene Freiheit für sich und andere nicht wieder einschränken.

Anderswo schreibt er: „Der Herr ist Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ – Pfingsten, das Fest des Geistes, ist ebenfalls rot. Vielleicht, weil der Geist an diesem Tag in rot-züngelnden Feuerflammen auf die Apostel herabstürmt. Vielleicht aber auch, weil der Geist an diesem Tag über die Grenzen der Sprache hinaustreibt, Sprachregeln verletzt, neue Worte zu sprechen und zu verstehen lehrt. Pfingsten wirbelt die Sprache und ihre Bedeutungen durcheinander. In der pfingstlichen Zungenrede lösen sich die Bedeutungen der Worte auf.

Zum letzten Pfingstfest hat die Japanisch-deutsche Künstlerin Leiko Ikemura in der Bad Wilsnacker Wunderblutkirche in der Prignitz ihre neuen Glasfenster für die Wunderblutkapelle eröffnet: In tiefem Rot erstrahlen die beinahe abstrakten Fenster – und erzählen etwas vom Brand der Stadt im Spätmittelalter und vom damit verbundenen Hostienwunder, dem Wunderblut, das vor der Reformation hunderttausende Pilgerinnen und Pilger an diesen Ort lockte. All das steckt in diesen leuchtend roten Fenstern. Aber Vorsicht! – Auch hier gilt: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Es gilt das gesprochene Wort.

10.05.2023
Pfarrer Hannes Langbein