Ein Kreuzzeichen

Wort zum Tage
Ein Kreuzzeichen
20.10.2020 - 06:20
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Er ist 21 Jahre alt, Soldat der deutschen Wehrmacht im besetzten Frankreich. Jetzt sitzt er für acht Wochen im Gefängnis.  An diesem Ort, wo auch Widerstandskämpfer der Resistance zum Tod verurteilt ihre letzten Tage verbringen, erlebt der junge Soldat Jörg Zink seinen Lebenszeitaugenblick (Hans Blumenberg). Die Urszene seiner Berufung, Jesus von Nazareth zu folgen und in einem niemals endenden kreativen Fluss Filme, Bücher, Predigten, Gebete zu schreiben, Millionen das Evangelium zu vermitteln bis ins hohe Alter von 94 Jahren.

Sein Lebenszeitaugenblick  hier im Gefängnis ist mit der Geste eines anderen verbunden. Eines Tages beobachtet der junge Soldat Jörg Zink durch die Gucklöcher seiner Zellentür, wie die Gefangenen auf dem Flur mit dem Blechnapf in der Hand um Essen anstehen. Einer von ihnen fällt ihm auf – mit einem Lächeln bedankt der sich sogar bei dem bewaffneten Aufseher für seine Suppe.  Dann geht er ans Ende des Flurs, hält dort einen kleinen Augenblick inne und macht mit der Hand ein Kreuzeszeichen über seinem Blechnapf. Von oben nach unten, von links nach rechts. Vor ihm und den anderen Gefangenen in die Luft gezeichnet, bleibt es wie eingegraben stehen. „Spürbar geborgen mitten in dieser Hölle“, so wirkt der französische Christ auf den jungen Jörg Zink. Das Kreuz bringt die innere Freiheit in das Gefängnis. Paradoxerweise. Ist es doch selbst ein Zeichen von Folter und Gewalt. Doch durch die Geschichte des Jesus von Nazareth ist es auch ein Zeichen von Versöhnung geworden. Und wer es vor sich in die Luft zeichnet, sagt: ich gehöre keinem Menschen. Ich gehöre Christus. Kein Gefängniswärter und kein Machthaber kann das antasten, ich bin frei.

Der französische Christ ist dann hingerichtet worden. Er hat nie erfahren, wie groß und wie wirkungsvoll dieses eine Kreuzeszeichen geworden ist.

Dass das Kreuz uns Evangelischen so abhanden gekommen ist im Alltag, bedaure ich sehr. In letzter Zeit versuche ich, es aufzugreifen. Als Zeichen über meinem Mittagessen und meinem Leben. Angeregt auch durch eine junge Frau, die ich im Dokumentarfilm „Eldorado“ gesehen habe. Sie sitzt mit Hunderten Körper an Körper, auf dem Deck eines der Rettungsschiffe der italienischen Küstenwache. Die Besatzung teilt Essen aus, in kleinen Aluboxen. Die Frau beugt sich über ihr Essen – und schlägt ein Kreuz vor sich in die Luft.  Jedes Mal, wenn ich mich jetzt bekreuzige, stelle ich mich mit meinem ganzen Körper auch an ihre Seite.