Lass dein Brot über‘s Wasser fahren

Wort zum Tage
Lass dein Brot über‘s Wasser fahren
23.10.2020 - 06:20
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

„Lass dein Brot über‘s Wasser fahren“. Ich hab diesen Vers erst vor kurzem in der Bibel beim Prediger Salomo entdeckt und kann nicht aufhören, zu staunen. Das Schilfkörbchen auf dem Nil, das die Mutter des kleinen Mose über das Wasser fahren lässt, um ihr Kind zu retten – das kenne ich. Und sehe die Hände vor mir, die dieses Kind gehalten, liebkost, gestreichelt, gewaschen und angezogen, wie sie Fingerspiele mit dem Kleinen gemacht haben! Und ich sehe vor mir, wie diese Hände jetzt loslassen müssen. Sich öffnen, loslassen und leer zurückbleiben. Das Körbchen mit dem Kind gleitet über‘s Wasser. Doch niemand weiß, ob das Kind im Körbchen überlebt. Maximales Vertrauen. Maximale Vertrauensgeste. Ich lasse los und vertraue mein Kind dem Fluss des Lebens, der Großzügigkeit des Lebens an.

An diese Geschichte erinnert mich der Prediger Salomo und tut es vielleicht mit Absicht. Offene Hände, maximales Vertrauen. „Lass dein Brot über‘s Wasser fahren“. Gott sei Dank, nicht mein Kind. Und doch etwas sehr Wesentliches. „Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut…“ so übersetzt Martin Luther die Vaterunserbitte um das tägliche Brot. In die bäuerliche Welt hinein übersetzt er sie. Das ist etwas viel auf einmal und doch kann alles drin stecken in diesem Bild vom Brot. Was ich erworben, erwirtschaftet, erarbeitet habe, soll nicht allein mir zugute kommen. Vertraue ich es dem Wasser, dem Leben, dem Fluss des Lebens an, öffne ich meine Hände in einer Geste der Großzügigkeit, wird mein Leben reicher. Ich mache eine ganz andere Rechnung auf. Ich versichere mich nicht nur dessen, dass ich gut gearbeitet und gewirtschaftet habe. Ich versichere mich eines anderen Lebensgesetzes: „Wer gibt, der empfängt.“

„Lass dein Brot über‘s Wasser fahren, denn du wirst es finden nach langer Zeit. Verteil es unter sieben oder unter acht; denn du weißt nicht, was für Unglück auf Erden kommen wird“.  (Pred 11, 1-2)

 So sagt es der Prediger Salomo. Es kommt etwas zu dir zurück, was du nicht gemacht, nicht berechnet, nicht geplant hast. Und wenn dich ein Unglück treffen wird, man weiß nie, dann könnte es sein, dass sieben oder acht an dich denken. Es gibt so etwas wie Geberglück, Großzügigkeitsadrenalin. Lass dein Brot übers Wasser fahren…

Ich wünsche mir, Europa möge sich in dieser einen Geste vereinigen, verdichten, sein Herz zeigen. Als Kontinent, der gibt und weiß, dass er dadurch ein Vielfaches empfängt.