Beten gegen den Terror?

Beten gegen den Terror?
Pfarrerin Ilka Sobottke
23.03.2019 - 23:35
06.02.2019
Ilka Sobottke

Das Bild hat mich angerührt: Ein einsamer Blumenstrauß an die Eingangstür der Moschee in Mannheim gelehnt, dazu die Notiz: ‚Blumen vor der Moschee von unbekannten mitfühlenden Menschen‘. Das Bild hat mir ein Freund aus der Moscheegemeinde geschickt

kurz nach dem Anschlag in Christchurch in Neuseeland. In Mannheim sind wir eng verbunden. Die Moschee steht mitten in der Stadt, nicht nur die eine. Auch die Synagoge liegt sozusagen mitten in unserer evangelischen Gemeinde. Juden, Christen und Muslime - wir leben in direkter Nachbarschaft. Wir sind befreundet und wir sind Geschwister im Glauben. Seit Jahren bin ich als Pfarrerin im Vorstand der Christlich Islamischen Gesellschaft und im Forum der Religionen. Wir treffen uns regelmäßig. Wir laden uns gegenseitig zu Festen ein, essen miteinander, reisen miteinander, und ja, wir beten miteinander. Wir reden über Fragen des Glaubens und über Fragen des Zusammenlebens und immer wieder auch darüber, wie wir reagieren können, wenn es Anschläge gibt, Anschläge von Gewalttätern, wie der in Utrecht, wie die letzte Woche der auf zwei Moscheen in Christchurch in Neuseeland. Nach den Anschlägen in Christchurch hatten wir eine gemeinsame Sitzung. Wir beteten für die Opfer, die Verletzten, die Verstorbenen, die Freunde, die Angehörigen.

Ich spüre immer noch wie nahe mir das geht: der Schmerz, die Trauer.

Bei meinen muslimischen Freunden wächst die Angst: Hier in Mannheim sind die Moscheen offen. Immer kann jeder rein. Jeder wird freundlich begrüßt: „Friede sei mit dir!“ So wie an der Tür in Christchurch der alte Daoud Nabi jeden begrüßte, auch den Mörder und sagte: „Komm rein, Bruder!“ Er war der erste, den er ermordete. Ich bin fassungslos angesichts der Kaltherzigkeit dieses Anschlags. Mucad Ibrahim war ein kleines Kind, drei Jahre alt, und rannte dem Mann mit dem Gewehr in der Hand entgegen, vielleicht dachte er, es sei ein Spiel, er starb. Ara war zweiundvierzig, sie warf sich vor ihren Mann, der im Rollstuhl sitzt.

Er lebt, sie starb.

Ich will nichts von dem Mörder wissen. Ich will der Opfer gedenken!

Meine muslimischen Freunde erleben das so, dass die Reaktionen in der Öffentlichkeit anders sind, je nachdem, ob Muslime sterben oder Christen und ich sehe das auch so:

Sterben Muslime, scheint das nicht so wichtig, anstatt Mitgefühl gibt es Gleichgültigkeit, sogar Häme und Genugtuung. Als wenn Muslime nicht genauso Menschen wären. Nicht genauso Kinder Gottes und geliebte Geschöpfe.

Jacinda Ardern, die neuseeländische Premierministerin hat mich sehr beeindruckt: Mit einem schwarzen traditionell islamischen Kopftuch ist sie nach Christchurch gereist zu den Angehörigen, den Verletzten ins Krankenhaus, zur Moscheegemeinde.

Für mich bedeutet der Glaube an Jesus genau das: Zu meinen Nachbarn gehen, den Freund, die Schwester und den Bruder erkennen, den Schmerz teilen, die Sorge und die Wut, mitgehen in der Angst und uns gemeinsam an Gott wenden.

In Mannheim fährt die Polizei vermehrt Streife vor der Moschee. ‚Ihr könnt in Ruhe beten, wir wachen.‘ – will das sagen. An vielen Orten waren gestern Christen zu Gast in Moscheen,

um genau das zu sagen: „Wir sind eure Nachbarn! Wir lassen euch nicht allein!“

Sollte man meinen, so ein einsamer Blumenstrauß, der zähle nicht, aber irgendwie ist dieser neu aufgeblüht. Muslime sagen genau wie Juden: ‚Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt‘. So ein Blumenstrauß, ein Gebet, ein Besuch, die retten: das Vertrauen in die Nachbarn, in die Freunde, in die Menschlichkeit.

06.02.2019
Ilka Sobottke