Streitsüchtig

Streitsüchtig
mit Pfarrerin Stefanie Schardien aus Fürth
01.07.2023 - 23:50
02.02.2023
Stefanie Schardien

Bei Beerdigungen spreche ich am Grab immer einen Segen für die Verstorbenen: „Friede sei mit dir.“ Aber eigentlich, den Frieden, das denke ich oft: den Frieden brauchen die Angehörigen um mich herum. Denn gerade hier auf dem Friedhof kommt viel hoch: Alte Wunden, Streit ums Erbe und immer wieder Ärger zwischen Geschwistern.

Gott sei Dank nicht immer, aber gerade letzte Woche wieder: Schon bei meiner Ansprache hab ich gesehen, wie einer der Brüder innerlich brodelte. Auf dem Weg zum Grab bin ich extra an seiner Seite gelaufen. Da kam die ganze Wut aus ihm heraus: „Jetzt sag ich Ihnen mal die Wahrheit! Mein Bruder spinnt. Aber Vatis Liebling!“ Ich hab ihm zugehört. Und… Kennen Sie Kain und Abel? An die musste ich denken. Diese eifersüchtigen Brüder aus der Bibel. Bis aufs Blut! Das würde noch ein Nachspiel haben, hör ich.
Puh, hoffentlich zivilisierter als bei Kain und Abel.

Deren Geschichte ist ja lang nicht die einzige vom Streit in der Bibel. Warum? Vielleicht damit wir nach Perspektiven suchen: Was hilft denn dann?  Das gerade ist die Frage! Bei Sätzen wie „Mit der bin ich fertig!“, spür ich oft: Eigentlich ist das nur die zweitbeste Lösung. Denn wer will ernsthaft wegen blöder Missverständnisse oder der Erberei seine Geschwister verlieren? Mir hat jemand gesagt: Das fühlt sich alles furchtbar an. Und kostet so irre viel Energie. Viele würden gern im Frieden leben, würden sich versöhnen, aber irgendwie... Am Ende läuft es meistens so: Man brüllt sich an oder es herrscht Funkstille.

Wie kommen wir da nur raus? Seid doch einfach lieb zueinander?
Nein, aus christlicher Sicht meine ich: Wir müssen sogar mehr streiten! Also: Mehr richtig streiten. Nicht Beschimpfen, nicht Totschweigen. Echtes richtiges Streiten ist das(!) Mittel auf dem langen Weg zum Versöhnen! Wie das geht: Selbst den ersten Schritt machen – ich würde ja sagen: sogar häufiger. 7x70 Mal ist die biblische Hausnummer. Was noch? Zuhören! Damit man die andere Meinung überhaupt erstmal kennenlernt – und ich würde sagen: vor allem den Menschen dahinter! Sich leben lassen – bei allen Unterschieden! Ich weiß: Alles anstrengend, aber, jede Wette, am Ende fühlt man sich besser.
Und so sehr wir uns bei Ratgebern schlaulesen können: Oft braucht es von irgendwoher einen Impuls, ne Tasse Kaffee oder einen Witz, über den beide lachen, damit etwas in Gang kommt. So eine Brise Heiligen Geist.

Die Brüdergeschichte letzte Woche auf dem Friedhof hatte ein Nachspiel: eins mit Geist: Ich hatte den Segen gesprochen. Die Angehörigen? Weiter schmallippig. Da hab ich dem kleinen Sohn des einen Bruders gesagt: Schau mal, noch so viele Rosenblätter. Die darfst Du noch auf Opas Urne werfen.“ Der Friedhofsbeamte hatte gleich die nächste Idee: Der Junge durfte helfen, Opas Grab zuzuschaufeln. Und auf einmal, ging der andere, der wütende Bruder, dazu, hat mit angepackt und gemeinsam mit seinem kleinen Neffen geschaufelt.
Vielleicht ein winziger Anfang… Jedenfalls hab ich mal kurz ganz oben gedankt.

Und wenn Sie sich gerade in einem Streit befinden, wünsche ich Ihnen versöhnliche Gedanken. Und uns Allen eine gesegnete Nacht.

02.02.2023
Stefanie Schardien