Mach doch die Augen auf!

Mach doch die Augen auf!
mit Pfarrerin Anke Prumbaum
22.01.2022 - 23:45

Guten  Abend,

Eine Freundin von mir hat das, was ich erlebt habe, mit dem Wort „Berufskrankheit“ kommentiert. Berufskrankheit: Ich arbeite als Pfarrerin im Krankenhaus, ich bin da Seelsorgerin, und klar, am Thema Corona komme ich nicht vorbei. 

Diese Woche hatten wir jeden Tag Höchstwerte bei den Neuinfektionen in unserem Land. Glücklicherweise ist das in den Krankenhäusern nicht so. Aber ich kenne täglich mehr Menschen, die positiv getestet sind. Da muss man nicht im Krankenhaus arbeiten, um zu merken: das Thema kriecht in jeden Winkel des Lebens. 

Also… Ich hab meinen Weihnachtsbaum in dieser Woche abgeschmückt. Sterne, Kugeln und Gebasteltes – alles abgenommen und weggepackt, und zum Schluss natürlich – und das ist immer besonders speziell - die Lichterketten. 

Die vertüddeln sich nämlich immer gerne und dann bekomme ich die im nächsten Jahr nicht mehr auseinander.  Ich hab die Ketten also schön gerade aufgewickelt, so sorgfältig es ging,  und am Ende hatte ich einen dicken grünen Ball in der Hand und die Lichter standen alle wie kleine Stäbchen ab. Und  dann gucke ich dieses runde Ding in meiner Hand an und denke: Hm. Das sieht ja aus, das sieht ja aus wie….  Grün, rund, mit Spikes. Hundertfach gesehen in den letzten zwei Jahren auf Grafiken und Piktogrammen. Klar, wie‘s aussieht! Und in dem Moment, wo mir dieser Gedanke kommt, denke ich schon: Spinnst du eigentlich?

Ich hab mein Handy genommen und diesen Lichterketten-Virus-Ball in meiner Hand fotografiert. Hab das Foto in meinen Status gestellt und drunter geschrieben: „Ich schmücke den Weihnachtsbaum ab und denke an Corona. Wo sind wir nur gelandet?“  Einfach so, eigentlich aus Spaß.

Und dann? Dann kamen die Reaktionen. Wie gesagt, ein Kommentar: „Berufskrankheit“. Eine Kollegin aus dem Krankenhaus schrieb: „Das frage ich mich auch!“ und der nächste „Ja, Corona verändert unser Denken.“ Es gab eine Menge betrübter Emojis, und die Feststellung, dass dieses Thema uns nicht mehr loslässt. Eine  Freundin aus Wiesbaden brachte es auf den Punkt: „Es nervt ohne Ende! “ 

Tja. Da poste ich mit nem kleinen Schmunzeln und was kommt zurück?  Ja: Corona sitzt im Kopf. Macht was mit uns. Da schau ich mir einen Film an, der ist vor ein paar Jahren gedreht, und ich hab innerlich diesen Reflex und frag mich, warum tragen die keine Maske? Es gibt Familien, die haben sich auf Corona freie Zeiten geeinigt. Am Wochenende, oder beim Abendessen, wird nicht darüber gesprochen. 

Gibt’s noch Corona freie Zeiten?  Oder ist es schon so weit, dass selbst mein Denken infiziert ist, wenn ich bei einer Lichterkette an ein Virus denke?  Die ganzen äußeren Regeln und Beschränkungen sind richtig. Davon bin ich überzeugt, aber ich merke: sie verändern auch mein Inneres. Mein Denken – und nicht nur das. Ich mach mir Sorgen, wenn ich raus auf die Straße gucke und da so viel Aggression sehe.

Für mich gibt es in der Bibel dafür einen Gedankenleitfaden. Da heißt es, dass Gott Gedanken über uns hat und dass das Gedanken des Friedens sind und nicht des Unheils.

Ich würd mich gerne mit meinen Gedanken an diesen Gottesgedanken dran hängen.  Gedanken des Friedens, nicht des Unheils. Das macht es freier. Auch wenn uns Corona nicht mehr loslassen wird, auch wenn Schärfe und Aggression immer stärker werden, und auch der genervte Frust. Selbst dann: es gibt daneben und auch darin andere Themen, andere Ideen, Pläne. Das will ich meinen Gedanken sagen: Stopp mal eben. Denk in die andere Richtung. Wir brauchen nicht noch ununterbrochen Unheil in unseren Gedanken. Da brauchen wir Frieden und Zeiten des Friedens und Räume für den Frieden und Bilder vom Frieden.

Corona bestimmt vieles. Fraglos.  Aber: Die Lichterkette in meiner Hand ist eine Lichterkette. Und das bleibt sie. Fertig. Sie ist Licht. Gott sei Dank.

Ich nehm die grüne aufgewickelte Kugel und pack sie in die Kiste. Und in meinen Gedanken hol ich sie im Dezember wieder raus und sie kommt nicht als Virus daher, sondern als Botin des Lichts. Was sie ja auch ist.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.