Die große Freiheit

Die große Freiheit
spricht Stefanie Schardien aus Fürth
08.05.2021 - 23:35
21.04.2021
Stefanie Schardien

Die große Freiheit – früher dachte ich dabei an Weltreisen oder zumindest ans Meer. In diesem Jahr ist das anders: Ein bisschen Live-Musik wär schön. Oder wenn meine Kinder endlich mal wieder mit verschwitzten Turniertrikots nach Hause kommen könnten. Oder Essen im Restaurant statt Abholbox oder ein Picknick mit vielen Freunden.  Ziemlich handlich gewordene Freiheitsträume. Und selbst die sind ja noch lang nicht zum Greifen nah. Obwohl sich gerade die Politik in Versprechungen überschlägt: Alles bald wieder möglich - Kino, Shoppen, Restaurants. Die Rückkehr der Freiheit… für die Geimpften und Genesenen eben.

Nun gehöre ich als Pfarrerin selbst seit kurzem dazu. Jetzt schon und mit der zweiten Impfung noch viel mehr kann ich besser arbeiten, wofür ich da bin: bei Beerdigungen, in der Seelsorge. Das ist gut – im Beruf. Im Privaten hab ich dann aber auch Vorteile. Ich könnte also bald sagen: „Super, her damit. Ist halt gerade ein bisschen doof für alle anderen, die noch nicht geimpft sind. Aber das steht mir dann eben zu!“

Das könnte ich sagen. Denn das ist ja was Großartiges: Endlich wieder frei sein von den ganzen Einschränkungen und von der Angst um sich selbst…. Ich kenn das auch aus meinem Glauben: Hier spielt die Freiheit eine riesige Rolle.

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ So hat das der evangelische Gründervater Martin Luther mal gesagt. Gott macht den Menschen frei vom ständigen Sorgen ums eigene Leben. Was für ein Riesengeschenk! Und trotzdem gibt es genau hier ein riesiges ABER.

Denn niemand darf jetzt hier so tun, als hätte man sich die neuen Freiheiten verdient und könnte nur noch mit Blick auf das eigene Glück losziehen. Wir Geimpfte haben die Freiheiten auch geschenkt bekommen. Nein, nicht nur vom Impfstoff! Sondern von all den Jugendlichen und Eltern und Kassierern und Busfahrerinnen, die in den letzten Monaten gesagt haben: „Ganz klar: Alte und kranke Menschen und die, die sie infizieren könnten, die sollen zuerst dran sein beim Impfen. Wir halten zusammen.“ Das braucht jetzt eine Fortsetzungsgeschichte.

Martin Luther war auch nicht fertig mit seinem einen Freiheitssatz. Er hat sofort einen zweiten angefügt: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Heißt: Wenn ich erlebe, dass ich meine Freiheit geschenkt bekommen habe, dann ändert das mein Verhalten: Ich höre auf, um mich selbst zu kreisen. Ich bekomme andere in den Blick. Und dann setz mich für sie ein, gerne sogar.

Sollen die Geimpften also nichts nutzen von ihren schönen Aussichten? Quatsch, das schadet ja auch: Kneipenwirten, Kinobesitzerinnen. Aber was hilft: Zuerst einmal die noch nicht Geimpften weiter schützen: Mundschutz, Abstand – Mini-Opfer! Und die öffentlichen Diskussionen: Die könnten sich mehr darum drehen, wie die Noch-Nicht-Geimpften auch so viel Freiheiten bekommen wie möglich: Genug kostenlose Schnelltests und bitte: endlich mal ernsthafte Ideen für Kinder und Jugendliche, für Schule, Uni und verschwitzte Trikots. Ich freu mich mit allen, die bald Freiheiten geschenkt bekommen. Sie können eine Menge damit anfangen – vor allem aber eins: Jetzt auch mit den anderen zusammenhalten! Ihnen allen eine gesegnete Nacht! Geimpft oder nicht – da gibt’s Gott sei Dank keinen Unterschied.

 

21.04.2021
Stefanie Schardien