Heilung

Heilung
mit Pfarrerin Ilka Sobottke
09.01.2021 - 23:45
28.12.2020
Ilka Sobottke

Gibt es Heilung? Mitten in der Pandemie?

Ich denke derzeit viel nach über ‚Heilung‘, weil ich mitten in dieser Zeit krank war und mich durch gute Pflege und in einer REHA erholt habe.

Gibt es Heilung zwischen verschärftem Lockdown, Kindern die noch immer zuhause bleiben müssen, Pflegenden und Ärzt*innen am Limit, Kranken, Verzweifelten, Sterbenden. Gibt es Heilung? In der REHA habe ich die Verletzungen meiner Seele wahrgenommen: Enttäuschung und Wut nicht so zu können wie sonst; Angst dass es nie mehr so wird wie vorher; Ohnmacht.

Aber dann konnte ich auch genießen: spazieren in der guten Luft am Meer, Blick in die Weite, Wellen, Wolken, die tiefstehende Dezember-Sonne, viel Stille und Alleinsein, Gespräche, Yoga, Tanzen! Heilfroh bin ich jetzt wieder auf dem Weg zurück in mein Leben.

Heilfroh. Dieses Wort habe ich neu begriffen: ich bin froh und dankbar zu heilen! Es ist als ob der Seele in der Stille neue Sinne wachsen. Heilung verändert. Es muss nicht werden wie vorher.

Gibt es Heilung? Mitten in der Pandemie? Es können ja jetzt nicht alle in REHA gehen. Aber alle sind irgendwie verletzt, wund, dünnhäutig. Fast alle schwanken zwischen Wut nicht so zu können wie sonst; Angst dass es nie mehr so wird wie vorher; Und Ohnmacht.

Wie geht Heilung für eine Gesellschaft? Wenn viele geimpft sein werden, werden lange nicht alle gesund sein oder gar heil. Aber vielleicht sind wir dann schon mal ‚heilfroh‘! Ich bin heilfroh um die moderne Medizin. Dennoch Medizin heilt nicht die Zersplitterung, die Sprachlosigkeit, die Not.

In der Bibel wird vom Wunder der Heilung erzählt, immer wieder: Jesus kommt nahe, sieht genau hin, hört zu und legt die Hand auf die Wunde. Er hält die Begegnung mit dem Schmerz der anderen aus. Jesus heilt. Jesus berührt, wie die Pflegenden, die sich der Infektionsgefahr aussetzen. In dieser Nähe blüht Vertrauen, eine andere Art der Heilung. Heilung trotz Schmerz, trotz Angst, trotz Tod.

Hinsehen, Zuhören, die Angst des anderen aushalten, liebevoll die Seele berühren. Vielleicht ist das ein Weg für diese Zeit: Ich kann zuhören und hinsehen. Ich kann die Begegnung mit dem Schmerz der anderen aushalten. Vielleicht kann ich mich mitreißen lassen von Mut und Vertrauen oder von der Leichtigkeit eines ‚heilfroh‘ inmitten des Schweren.

Das Wunder der Heilung – vielleicht bedeutet das auch, dass wir eine andere Empfindsamkeit mitnehmen aus dieser Zeit. Dass wir die Schwächsten im Blick behalten, wie die Ärztin, die dem Sterbenden die Hand auflegt und sich Zeit nimmt für die Angehörigen, wie die Jugendliche, die aus Rücksicht bewusst auf Party verzichtet, die Kollegin, die gerade jetzt für die Versorgung Obdachloser kämpft und die Familie, die sich selbst isoliert, um weiter die Großeltern sehen zu können. Das Wunder der Heilung geschieht täglich mitten im Schweren. Darauf kann ich neu vertrauen. Gott sei Dank!

 

 

28.12.2020
Ilka Sobottke