Fragende Eltern

Fragende Eltern
mit Pfarrerin Annette Behnken aus Loccum
10.07.2021 - 23:35
09.07.2021
Annette Behnken

Zehn Gebote kennt die Bibel. Zehn: eins zu wenig. Ich fordere ein elftes.

Ich war verstummt damals, erzählen meine Eltern, ein paar Tage lang habe ich gar nichts gesagt. Das weiß ich gar nicht mehr so genau, aber an den Schrecken erinner ich mich gut. Ich war 14 und meine Klavierlehrerin hatte mir was erzählt. Die vor jeder gefühlt zweiten Klavierstunde sagte: Komm, gehn wir n Kaffee trinken und quatschen, ist auch wichtig. Wir redeten über Klamotten, Jungs, das Leben vor und nach dem Tod. Und Politik. An diesem Tag erklärte sie mir, dass es zu spät sei. Für unsere Umwelt. Wasser, Erde, Luft. Verseucht. Selbst, wenn wir alle Emissionen sofort stoppen, es sei nichts mehr zu retten. Knapp 40 Jahre ist das jetzt her. Erst verstummte ich. Dann begann ich, mich politisch zu interessieren, zu demonstrierten, zu diskutierten. Auch darüber, ob man es verantworten kann, Kinder in diese Welt zu setzen.

Meine sind heute so alt, wie ich damals. Wovor ich damals Panik hatte - für sie ist es Realität. Wovon ich hoffte, es kommt erst in hundert Jahren. Jetzt ist es da.

Historische Hitzewellen. Das Feuerinferno in Kanada. In Brasilien über 2000 Waldbrände allein im letzten Monat. Meere brennen. In Afrika neue Todeszonen, so heiß, dass Pflanzen einfach zu Staub zerfallen. Endzeitbilder. Realität.

Und wir hören Politiker sagen: „Wir müssen besser darin werden, den jungen Leuten zu erklären, warum das mit dem Klimaschutz nicht so schnell geht.“  --- --- ---

Und wie war das noch gleich? Wollten wir nicht jetzt demnächst weltweit den Hunger besiegt haben? Und wir sehen, wie Hunger gewollt wird und benutzt, als politische Verhandlungsmasse in Syrien, als Mordwerkzeug in Äthiopien. Und wie viele Kinder das trifft.  Die Welt brennt.

Also ist es verantwortungslos, Kinder in diese Welt zu setzen. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich mir diese Welt ja nicht vorstellen kann ohne meine Kinder! Sie machen sie reicher, schöner, kostbarer, diese Welt. Und die Welt sollte reich, schön, kostbar sein für sie. Denn, sagt der indische Philosoph Tagore: „Jedes neugeborene Kind bringt die Botschaft, dass Gott sein Vertrauen in die Menschheit noch nicht verloren hat.“ Erstaunlich eigentlich, dass er das noch nicht getan hat. Darum fordere ich ein elftes Gebot. Für unsere Kinder. Weil, nochmal Tagore, unsere Kinder„ nicht dazu geboren (wurden), damit wir glücklich seien. Unsere Freude sollte darin bestehen, dass es ihnen wohl gehe auf Erden und sie ihr Leben erfüllen.“

Seit über einem Jahr müssen sie zurückstecken, weil wir die Bedingungen dafür geschaffen haben, dass es dieses Virus geben und dass es sich ausbreiten kann. Die nächste Corona-Welle wird voraussichtlich durch die Schulen rauschen. Und wir sehen: Für Vieles gibt es eine Lobby, vor allem, wenn es mit F anfängt: Flugzeuge, Fahrzeuge, Fußball. Für Kinder nicht. Und wir hören: Wir sollten ihnen dankbar sein, für das, was sie ausgehalten haben im letzten Jahr. Dankbar - kostet nix und hilft nix.. Das brauchen unsere Kinder nicht. Was sie brauchen, ist unsere Achtung.

Eins der 10 Gebote sagt: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“. Ich fordere das elfte Gebot: Du sollst deine Kinder ehren und sie achten, dass es ihnen wohl gehe auf Erden.

09.07.2021
Annette Behnken