Der 17. Juni - Ein Tag der aufrechten Haltung

Der 17. Juni - Ein Tag der aufrechten Haltung
mit Pfarrer Wolfgang Beck aus Hildesheim
17.06.2023 - 23:35
02.02.2023
Dr. Wolfgang Beck

„Junge, stell dich gerade hin; Du machst dir sonst den Rücken kaputt.“ So habe ich es öfters als Teenager gehört. Gerade und aufrecht stehen war wichtig. Vielleicht geht es bei der Ermahnung „halt Dich gerade“ aber nicht nur um mögliche Haltungsschäden. Denn mit der „geraden Haltung“ und dem aufrechten Gang ist mehr angedeutet, als die Körperhaltung. Ich bewundere Menschen mit Haltung. Menschen mit Haltung, das sind die, die offen und geradlinig Position beziehen – nicht für sich selber, sondern besonders für andere, besonders für Schwächere. Menschen mit Haltung stehen im Mittelpunkt des heutigen Tags, des 17. Juni.

Der 17. Juni 1953 erinnert an den Mut und die Einsatzbereitschaft von Menschen für gerechte Verhältnisse und demokratische Strukturen. Denn vor genau 70 Jahren, im Jahr 1953, kam es in der früheren DDR zu Protesten, Streiks und Aufständen. Aus den spontanen Demonstrationen der Arbeiterschaft und der Wut über maßlose Vorgaben des Arbeitspensums wurde schnell ein Aufstand gegen das Unrechtsregime. Es wurde auch für Christ:*innen in Ost und West, damals wie heute ein Lehrstück für aufrechte Haltung.

Gegen die Protestierenden, diese Menschen mit Haltung, griffen das sowjetische Militär und die Sicherheitskräfte der DDR mit größter Härte ein. Der Ausnahmezustand wurde verhängt. Panzer rollten durch die Innenstädte. Tausende Menschen wurden verhaftet und verurteilt. Circa 70 Menschen wurden getötet und es folgten von der Regierung verordnete Todesurteile. Der Sozialismus von DDR und Sowjetunion zeigte sich von seiner menschenverachtenden und grausamen Seite. Durch die Härte kam es zwar zur Niederschlagung einer breiten Protestbewegung. Aber es wurde auch sichtbar: Menschen setzen sich auch unter größten Risiken für demokratische Kultur ein. Da ging es um ein gerechtes und menschenfreundliches Miteinander. Es war nicht nur das Schimpfen und Motzen von Unzufriedenen. Dieser Einsatz trotz der Risiken zeugt von Haltung – vorbildlich bis heute. Diese widerständige Haltung für demokratische Strukturen und gegen autokratisches Durchregieren beeindruckt mich, wenn es heute um den Kampf der Menschen in der Ukraine für ihre demokratische Gesellschaft geht und gegen das Modell Moskauer Autokratie. Es beeindruckt mich auch, wenn Menschen sich dafür stark machen, dass doch alle, auch Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen, Menschenrechte haben und das Recht auf Hilfe und Asyl. Auch das ist ein Aufstehen gegen unmenschliche Härte, die schnell im Gewand der Sachzwänge daherkommt. Auch da zeigt sich echte, menschenfreundliche Haltung.

An die Proteste 1953 in der DDR wurde bis 1990 in der Bundesrepublik Deutschland erinnert. Es war ein eigener Feiertag, der damalige Tag der Deutschen Einheit. Vielen ist dieser Feiertag und sind die Ereignisse von 1953 wohl nicht mehr im Bewusstsein.

Ich glaube, dass eine Erinnerung an die Menschen mit Haltung und an die Ereignisse vor 70 Jahren in Ost und West eine gute Gelegenheit ist, den „geraden Rücken“, also echte Haltung zu trainieren und wieder neu einzuüben. Als Christ weiß ich, wie wichtige so ein prophetisches und widerständiges Eintreten für die Schwächeren ist. Manchmal braucht es dann etwas Kraft, diese Haltung zu pflegen. Auch für Christ*innen lohnt sich die Erinnerung an die Menschen, die 1953 große Risiken eingingen, Demokratie wird nicht durch populistische Ausfälle gepflegt, sondern durch ein Eintreten für die Schwächeren, ein Eintreten für einen menschlichen Umgang, in ganz Deutschland, aber auch in der ganzen Welt. Einen guten Sonntag!

02.02.2023
Dr. Wolfgang Beck