Komisch, das sind die anderen

Komisch, das sind die anderen
mit Theologieprofessorin Julia Enxing
29.01.2022 - 23:35

Diese Woche ist ein kleines Erdbeben durch die Kirche gegangen. Da wurde die Kirche mal wieder von der Realität eingeholt und war ganz überrascht. Worum es ging, verrate ich Ihnen gleich. Aber vorher noch eine Frage:

Sind Sie eigentlich normal? Normal, das hat ja etwas mit Norm zu tun und da frage ich mich: Wie sieht die eigentlich aus? Die Norm für die „normalen“ Menschen? Und: Wer macht sie?

Meist finden wir uns alle doch ziemlich normal. Komisch, das sind die anderen.

Es gibt Menschen, die meinen zu wissen, dass es eine „Norm Mensch“ gibt. Und diejenigen, die davon abweichen, sind eben nicht normal, die sind schräg.

Deshalb werden sie dann auch schräg angeschaut, gehänselt, nicht selten sogar gehasst. Solche Vorstellungen spuken auch durch meine Kirche. Auch hier gibt es Vorbehalte und Sanktionen für …

… queere Katholik:innen. „Queer“ zu sein heißt zunächst einmal: nicht in ein Schema zu passen. Ein Schema, das eine Gesellschaft, eine Kultur, eine Religion sich selbst auferlegt hat. Das Schema, das hier meist nicht passt lautet: Entweder Du bist männlich, oder weiblich und natürlich heterosexuell – und dann verhältst Du Dich bitte auch so und siehst so aus.

Ja, wie eigentlich? Egal, so halt.

Was, wenn sich Menschen als weder männlich noch weiblich empfinden? Oder beides? Oder irgendwas dazwischen? Was, wenn Menschen nicht heterosexuell lieben, sondern homo-, trans-, bi- oder intersexuell sind? Was, wenn Menschen nicht in das passen, was andere unter „normal“ verstehen. Was dann? Am letzten Montag…

… Ja, da war es soweit. Da haben zahlreiche Christ:innen, die in und für die katholische Kirche arbeiten, ihre queere, transsexuelle, intersexuelle, bisexuelle, homosexuelle Identität geoutet.

 Das größte Coming-Out in der Geschichte der katholischen Kirche.

„#OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst“ heißt die Initiative, die die ARD mit der Reportage „Wie Gott uns schuf“ begleitete. Über 120 Christ:innen haben all ihren Mut – und vielleicht auch ihre Wut – genutzt und ihrer Kirche gesagt: Ich passe in keine Schablone

Starke, authentische, berührende und aufrüttelnde Glaubenszeugnisse sind das. Und dann?

Der ganz normale Wahnsinn: Gratulation und Solidarität auf der einen Seite, Freude über dieses Zeichen der Vielfalt in unserer Kirche und die unverbrüchliche Bestätigung der Botschaft: Du bist geliebt, so wie Du bist. Du musst in keine Schablone passen, dir kein Korsett umlegen.

Der Norm Gottes entsprichst Du, weil Du da bist. Du bist unendlich geliebt, gewollt und bejaht. Und deshalb bist Du so wichtig für diese Kirche, weil genau Du ein weiteres Teil des bunten Mosaiks unter Gottes Regenbogen bist. Deine Botschaft trägt die Liebe Gottes genauso in die Welt, wie Jesus es wollte. Alles andere wäre auch absurd, denn die Liebe Gottes und das Gebot der Nächstenliebe sind universell. Und von der anderen Seite?

Hass und Häme, Schuldzuweisung. Da fallen Begriffe wie „Sünde“ und „Krankheit“. Da fühlen sich manche offenbar durch den Hass bereichert, den sie verbreiten.

Für mich passt dieser Hass nicht zum Christentum: Er ist der totale Widerspruch: Einerseits die Botschaft der Liebe verkünden und andererseits Menschen zur Lüge und Selbstverleugnung drängen.

Diese Doppelmoral passt nicht zur Nachfolge des Juden Jesus von Nazareth.

Jesus hat sich gerade mit denen solidarisch erklärt, die die Gesellschaft als „schräg“ als „nicht ganz normal“ abgestempelt hat. Ihnen ist Jesus begegnet, von ihnen hat er sich berühren lassen.

Jesus ist hier eindeutig: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ – und nicht „Liebe Deinen Nächsten nur dann, wenn er genauso tickt wie Du selbst“.