Nicht wegfahren

Nicht wegfahren
Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien
03.08.2019 - 23:35
06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien

Es gab einen Satz, den ich als Kind ziemlich nervig fand. Und zwar besonders im Sommer. Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Da waren viele nicht so richtig reich. Meine Familie auch nicht. Darum bin ich auch nicht so oft in den Urlaub gefahren. Und ich war damit nicht allein. Es gab um mich herum immer Kinder, die in den Ferien zuhause geblieben sind, die mit den Schultern zuckten, wenn die Lehrerin fragte: „Und, wo geht’s denn hin?“ Das war halt so. Aber dieser eine Satz hat mich trotzdem immer getroffen, auch wenn er gut gemeint war. Dieser Satz: Man kann doch auch zuhause schöne Ferien verbringen.

Gemeint war: Ist ja gar nicht so schlimm. Komm, sechs freie Wochen werden so oder so schön. Getröstet hat mich das nicht so richtig. Ich wäre einfach auch gern in den Urlaub gefahren. Und vor allem hätte ich auch gern hinterher in der Schule von Zeltplätzen, Bergen oder vom Schwimmen im Meer statt vom Planschbecken auf Balkonien erzählt. Da hat man in den Sommerferien mal so richtig lange frei. Zum Ausruhen, fand meine Religionslehrerin. Dann erzählte sie uns von Gott, der nach der Erschaffung der Welt am siebten Tag auch ruhte. Aber mir war nicht nach Ausruhen. Und hat sich Gott am siebten Tag nicht gerade die Welt angeschaut? Ich wollte reisen, statt einfach nur daheim zu bleiben. Doch ehrlicherweise hatte meine Lehrerin recht: Es steht in den biblischen Geboten nichts von „In den Ferien sollst Du eine Fernreise tun. Da steht nur: am siebten Tage sollst Du ruhn.

Wenn allerdings heute auf meinem Handy Urlaubsgrüße aus aller Welt eintreffen, dann bekomme ich trotzdem den Eindruck: Schöne Ferien macht man eben doch woanders. Alle fahren weg. Auf den ersten Blick, denn natürlich kenne ich als Pfarrerin auch einige, die nicht in den Urlaub fahren. Knapp 15% der Deutschen konnten sich im vergangenen Jahr nicht mal eine Woche Urlaub leisten. Die Zahlen sinken seit Jahren. Das ist gut.

Umgekehrt heißt das aber auch: „Was? Du fährst gar nicht weg?“ Keinen Urlaub machen zu können, ist noch mehr zum sozialen Makel geworden, gerade für Kinder. Tatsächlich sag ich dann manchmal selbst diesen Satz von den schönen Ferien zuhause. Weil ich einem Kind Mut machen oder die Eltern trösten will. Und meistens beiße ich mir innerlich auf die Zunge, weil ich ahne, dass sie sich ähnlich fühlen wie ich mich früher.

Nun habe ich in diesem Jahr etwas Neues erlebt. Das hat mich schon überrascht. Da sagen mir Freunde sehr selbstbewusst genau diesen früher so verhassten Satz: Zuhause kann man doch auch schöne Ferien verbringen. Eine Freundin hatte Australien gebucht, aber nach den Fridays for Future-Demos haben ihre Kinder gesagt: Wir fliegen nicht mehr. Punkt. Flüge gecancelt. Urlaub vor der Haustür. Und meine alte Schulfreundin – eine, die anders als ich mit ihren Eltern immer nach Italien durfte – postet Fotos von ihrer Tour de Ruhr: Ein Stück am Heimatfluss langradeln. Freilich, der große Unterschied ist: Sie alle haben diesen Urlaub daheim selbst gewählt, sie könnten auch anders.

Der Erzähler der Schöpfungsgeschichte stellt sich Gott vor, wie er nach sechs Tagen Arbeit ruht, gerade nicht die Koffer packt, sondern einfach mal genießt, was da vor ihm liegt. Füße hoch, ausruhen, staunen und freuen – und siehe, das war sehr gut. Durch meine Freunde und durch die Erzählung vom siebten Tag gewinne ich, was ich als Kind nicht haben konnte: einen neuen Blick auf die Ferien. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich erholen können in diesen Tagen, wo auch immer sie gerade sind. Und ganz besonders wünsche ich es denen, die zuhause bleiben. Ihnen allen eine gesegnete Nacht.

06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien