Österliche Perspektive

Österliche Perspektive
Pastoralreferentin Lissy Eichert
31.03.2018 - 23:35

Guten Abend.

Im vergangenen Sommer ging ich mit einem Freund im Park spazieren. Die Sonne schien, es war warm. Das grüne Gras lockte, wir zogen Schuhe und Strümpfe aus und liefen eine ganze Weile barfuß. Plötzlich stockte mein Freund. Langsam rollte er die Fußsohlen über das frische Gras. Auf und ab, auf und ab, immer wieder. „Ich spüre etwas“, murmelte er. Dann schaute er mich fest und zugleich erschrocken an und sagte: „Vor 30 Jahren wurde ich an den Füßen gefoltert. Hab dadurch jedes Gefühl verloren. Jetzt spüre ich wieder etwas: Das ist doch feuchtes Gras...“ Ein Gänsehaut-Moment. Wir gingen auf die Knie, äußerlich wie innerlich, und jeder Atemzug war ein „Halleluja“.

 

Für meinen Freund war es wie eine Auferstehung, als die totgeglaubten Nerven unter den Fußsohlen zu kribbeln begannen. Wir beide haben in diesem Moment gespürt: Das Leben ist wirklich stärker als der Tod.

 

Als er gefoltert wurde, vor Angst und Schmerzen nichts mehr denken konnte, da wurde Gott für ihn zur Zuflucht. Seine Rettung. Später sagte er über diese grauenvolle Zeit: „Ich war nicht allein. Ich fühlte, Jesus Christus war auch da. Das gab mir Kraft zu überleben.“

 

Und das ist jetzt kein verklärter Blick auf die Grausamkeiten des Lebens, auf all das Schreckliche, das Menschen einander antun. Im Gegenteil. Gestern war Karfreitag und das Kreuz im Mittelpunkt. Wie schwer ist es, die Not auszuhalten, ohne selbst etwas tun zu können. Angenagelt zu sein. Nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen auf die Verwundungen. Jesus hat die Wundmale der Folter nicht versteckt. Er hat nicht verdrängt. Sondern die Wunden integriert - in das neue Leben.

 

Sein Kreuz ist das Zeichen für die göttliche Solidarität mit uns. Ich finde es befreiend, an einen Gott glauben zu dürfen, der nicht irgendwo weit weg ist. Sondern da ist, wenn Lebenspläne durchkreuzt werden. Der da ist, wenn das Schicksal zuschlägt. Aus Liebe nahm Jesus Gewalt, Schuld und Tod auf sich. Damit wir frei werden von unseren Ängsten.

 

Seine freiwillige Hingabe zeigt: Wir sind von Gott geliebt. So, wie wir sind. Solche Liebe ist stärker als der Hass. Sie überwindet sogar den Tod. Und hat nie ein Ende.

 

Was mein Freund damals im Gefängnis erlebt hat, war ein Moment der Auferstehung vor dem Tod: „Ich war nicht allein. Jesus Christus war da.“ Da war beides: die Todesnot und die Überlebenskraft. Diese Kraft steckt in jeder und in jedem von uns.

 

Ob ich darin einen Moment der Auferstehung sehe, ist sicher eine Frage der Perspektive. Ist der Blick mit Augen, die weiter sehen: „im Tod bis zum Leben, in der Schuld bis zur Vergebung, in den Wunden bis zur Heilung“.  

 

Diesen Blick wünsche ich uns.  Frohe Ostern.

 

 

________________

Quelle: „Osteraugen“ von Hemmerle, Klaus, gekürzt zitiert nach: www.klaus-hemmerle.de/index.php?option=com_content&view=article&id=725:ostergruss-1993&catid=8:briefe&Itemid=38