Trotzdem feiern!

Trotzdem feiern!
Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien
05.10.2019 - 23:35
06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien

Morgen laufe ich mit meinem Talar nicht in die Kirche, sondern quer durch unsere Stadt. Mit vielen Menschen aus meiner Gemeinde bin ich Teil des großen Fürther Erntedankfestzugs. Tradition pur, der Höhepunkt der Kirchweih. Ich mag das. Und gleichzeitig spüre ich ein Unbehagen, dieses Jahr noch mehr als sonst: Ist das alles ein bisschen zu viel Nostalgie? Die romantische Erinnerung an die heile Welt? Ist diese Zeit nicht vorbei? Als wir noch leicht und bedenkenlos das Erntedankfest gefeiert haben, weil Umweltschutz nur ein nettes Nebenthema war. Die Jugendlichen haben uns bei den Fridays for future im letzten Jahr deutlich gezeigt: Diese Leichtigkeit und Geborgenheit empfinden sie nicht mehr – und vielen von uns Erwachsenen geht es ähnlich. Kann ich das bringen als Pfarrerin: Am Sonntag fröhlich winkend mit dem Talar beim Erntedankfestzug mitzulaufen und am nächsten Freitag wieder mit ernster Miene für das Klima zu streiken?

Bei der festlichen Eröffnung der Kirchweih stand dieses Jahr eine Gruppe von Klimaaktivisten in schwarzer Trauerkleidung demonstrierend neben der Bühne, auf der eine Trachtengruppe tanzte. Einen Moment lang hatte ich das Gefühl: Ist die Zeit der Tradition vorbei? Alles hat seine Zeit oder wörtlich „Ein jegliches hat seine Zeit“– dieser Vers aus der Bibel wird sehr oft zitiert. Und vielleicht ist die Zeit der unbeschwerten Feste jetzt eben abgelaufen. Müsste ich als Pfarrerin womöglich sogar als erste sagen: Merkt ihr es nicht? Alles hat seine Zeit. Säen hat seine Zeit, Feiern hat seine Zeit und jetzt ist die Zeit fürs Sorgen machen? Freunde, die Hütte brennt. Es geht jetzt um Wichtigeres als um mit Obst und Gemüse geschmückte Altäre und fröhliche Erntedankfeste.

Die Bauern kennen diesen Zwiespalt vermutlich: Jedes Jahr haben sie die prächtigsten Wagen beim Festzug: prall geschmückt mit Gemüse, Obst und Herbstblumen. Auch sie feiern und danken für die Ernte. Und das, obwohl der Bauernverband dieses Jahr schon wieder eine ziemlich ernste Bilanz zieht: 2019 gab es wieder zu viele extreme Niederschläge, zu viel Hitze. Die Bauern merken das an unsicheren Ernten, ich an den Preisen für Lebensmittel.

Da wird sich einiges verändern in unser aller Leben. Eine Bekannte sagt mir kürzlich: Da ist so viel Druck, wie man richtig oder falsch lebt. Ständig hab ich ein schlechtes Gewissen. Beim Feiern in Krisen gilt das wohl erst recht.

Welche Zeit ist jetzt? Was ist jetzt dran? Weinen und lachen, klagen und tanzen. Die Bibel stellt beides nebeneinander, und genauso erlebe ich es in meinem Leben ja auch: immer dieses ganze Durcheinander und Miteinander von Freude und Leid. Feste und Feiertage haben ihre Zeit in unserem Leben behalten, durch die Jahrhunderte hinweg, trotz aller Krisen der Welt. Als Pfarrerin würde ich sogar sagen: gerade in den Krisen: Erntedankfeste und Fridays for Future. Das steht nicht einfach unverbunden nebeneinander. Vielmehr habe ich die Erfahrung gemacht: Gerade wenn ich bei Festen dankbar und fröhlich genieße, mich beschenken und begeistern lasse, dann nehme ich daraus die Energie, christlich gesagt: den Geist, dafür mit, mich in der Welt zu engagieren.  

Bei der Kirchweih-Eröffnung hab ich übrigens noch gesehen, wie Besucher in Dirndl und Lederhose auf die Klima-Aktivisten zugingen und ihnen auf die Schultern klopften: Gut, dass Ihr da seid. Wir unterstützen Euch. Dankbar feiern, genießen und genau aus diesen Erfahrungen heraus die notwendigen Veränderungen angehen zu können: diese Zeit ist wohl jetzt.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Nacht.

06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien