We shall overcome

We shall overcome
Pastoralreferentin Lissy Eichert
14.10.2017 - 23:35
21.12.2016
Lissy Eichert

Jeden Tag, um 18 Uhr, wird in der Berliner Gethsemanekirche gebetet. Mal sind es zehn, mal 100, die sich in der großen Kirche im Prenzlauer Berg treffen. Sie beten für den Menschenrechtsverteidiger Peter Steudtner und alle, die mit ihm in der Türkei inhaftiert sind. In dieser Woche haben in Istanbul die Prozesse gegen die zehn Journalisten und Menschenrechtler begonnen. Unwirklich, ja unfassbar der Vorwurf, sie würden eine terroristische Vereinigung unterstützen. Weil die Zehn ja gerade für die Menschenrechte stehen. Für seriösen Journalismus. Für Verständigung. Mit Workshops zu gewaltfreiem Handeln tragen sie dazu bei, in politisch brisanten Situationen Lösungen zu finden. Ihr Ansatz ist die konsequente Gewaltfreiheit.

 

Friedensstifter sind sie, keine Kriegstreiber. Am Dienstag habe ich mitgebetet. Gemeindemitglieder, Freunde, Unterstützer waren in die Gethsemanekirche gekommen. Sie setzen auf die Kraft des Gebets für die Inhaftierten. Einzutreten für Frieden und Gewaltfreiheit ist ein Auftrag Jesu von Nazaret an uns. Er selbst geht sogar noch weiter, bis hin zur Feindesliebe. Also dorthin, wo es richtig weh tut. Freiheit und Demokratie fallen ja nicht vom Himmel. Beide brauchen unseren täglichen Einsatz. Umso mehr, je roher der Umgangston in der Politik wird.

 

Die Gethsemanekirche ist ein Symbol, das zeigt: Friedlicher Protest kann Wunder freisetzen. Mahnwachen, brennende Kerzen, inständiges Beten – das hat es in dem Berliner Gotteshaus schon einmal gegeben: vor genau 28 Jahren. Als in Leipzig friedliche Teilnehmer der Montagsdemonstrationen verhaftet wurden. Auch damals strömten die Menschen allabendlich in die Kirchen. Zusammen sind Hilflosigkeit und Angst leichter zu ertragen.

 

Solche geschwisterliche Solidarität macht mir Mut. Sie stärkt mein Rückgrat, Hilft mir, mich nicht einschüchtern zu lassen von Drohgebärden. Mit Gebeten gegen Unrecht zu protestieren. So innig und flehentlich, wie Jesus im Garten Gethsemane gebetet hat, als ihm Verhaftung und Todesurteil drohten. Auch er hat in seiner Not Unterstützung bei den Weggefährten gesucht: "Wacht und betet mit mir", damit wir das jetzt gemeinsam durchstehen. Sein Hilfeschrei blieb unerhört: Die Unterstützer waren überfordert. Sie waren eingeschlafen. So wie auch heute viele verschlafen, wenn Beten und Handeln dran sind.

 

Peter Steudtner, der Menschenrechtler, bedankte sich in einem Brief aus dem Gefängnis für die Solidarität. Er schreibt, wie gut es tut zu wissen, dass sich so viele in Gedanken und Gebeten mit ihm und seinen Freunden verbinden. Er betet mit. Jeden Abend um 18 Uhr. In seiner Zelle. Und weil er dabei auch laut singt, kennen seine Zellennachbarn die Lieder der Hoffnung inzwischen auch schon. "Wachet und betet" oder "We shall overcome" – Wir werden die Bedrängnis überwinden – stärken das Durchhaltevermögen der Gefangenen. Wie schön wäre es, würden immer mehr Menschen allabendlich mitsingen, damit die Mauern des Unrechts einstürzen: "We shall overcome".

21.12.2016
Lissy Eichert