Wert-los?

Wert-los?
Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien
04.04.2020 - 23:50
14.03.2020
Dr. Stefanie Schardien

Das Wort zum Sonntag

spricht Stefanie Schardien, Fürth

Sendedatum: Samstag, 04.04.2020, 23:50 – 23:55 Uhr, im Ersten

Zwei Frauen leben unter einem Dach: Die eine schuftet von früh bis spät. Als ein Gast kommt, bezieht sie das Bett, kocht das Essen und macht hinterher sauber. Die andere setzt sich zu dem Gast, hört ihm zu, denkt nach und diskutiert mit ihm. So geht die Geschichte von Maria und Marta los, die Jesus zu Gast haben. Sie steht in der Bibel und seit Jahrhunderten streiten die Menschen darüber: Wer von den beiden Frauen ist jetzt eigentlich wichtiger?

Lange glänzte Maria, die Zuhörerin, gegenüber Marta, der Anpackerin. Seit einigen Wochen bekommt Marta Balkonapplaus. Wir lernen: Martas sind systemrelevant. Da hat sich was in unserer Wahrnehmung verändert, grundlegend: Seit Corona erleben wir, was die Martas dieser Welt leisten. Und wie abhängig wir sind von allen, die uns „überleben“ lassen: Nahrung organisieren, Pflegen, Müll abholen, Betreuen, Heilen, übrigens auch regieren.

Auf dem Weg zum Wochenmarkt treffe ich – natürlich mit Abstand – eine Frau, eine Maria, die steht weinend vor ihrem geschlossenen kleinen Laden. Schmuck, Kleinigkeiten fürs Herz, immer ein Gespräch und ein Kaffee inklusive. Sie erzählt mir von ihren Sorgen, von den Rechnungen und von dem bangen Warten, ob der Schutzschirm reicht. „Aber das ist schon richtig so mit der Schließung.“ sagt sie. „Ich bin eben nicht systemrelevant.“ In diesen Tagen könnten sich viele als Maria fühlen. Von einem Tag auf den anderen scheint ein Großteil ihrer Arbeit verzichtbar: Buchhändlerinnen, Musiker, Friseurinnen, die Mesner in unseren Kirchen. Viele versuchen, anders zu arbeiten. Mal geht das gut, mal eher schlecht. Aber oft mit der Frage: Bin ich eigentlich notwendig? Vor sechs Wochen, vor Corona, war das noch ganz anders.

Wenn ich mich daran erinnere, merke ich plötzlich: So dankbar wir den Martas jetzt zurecht sind, mir fehlen auch die Marias. Mir fehlen alle, die im Verein die Kinder trainieren oder die mich in ihrem Büro beraten. Jugendlichen aus prekären Verhältnissen fehlt der direkte Kontakt zu ihren Sozialarbeitern. Ja, und viele werden die Ostergottesdienste vermissen, die wir nicht feiern dürfen. Auch die Marias leisten so vieles, das für unser Leben lieb und teuer und wichtig ist.

Im Stress ist Marta trotzdem genervt von Maria. Sie beschwert sich bei Jesus. Der stellt klar: Er freut sich als Gast… über beide. Das ist überraschend. Und wichtig zu hören in diesen Tagen, wenn wir gestresst anfangen, Arbeit auf- und abzuwerten: Jesus würdigt Martas Anpacken, und er würdigt Marias Zuhören. Ja, bei uns ist jetzt besonders Marta-Zeit. Aber wir merken schon, dass wir auch die Marias wieder nötig haben werden. Und so wie wir jetzt alle unterstützen müssen, die von morgens bis abends für uns schuften in den Kliniken und an den Kassen, so müssen wir dann auch wieder Sorge tragen für alle, die unser Leben anschließend bereichern sollen.

Diese Wertschätzung für die viele unterschiedliche Arbeit dürfen wir nicht vergessen, wenn der Alltag halbwegs zurückkehrt. Sie wird uns dann etwas wert sein müssen. Das will ich mitnehmen aus dieser Zeit und aus der Geschichte von Marta und Maria.

Ich bin mir sicher: Beide haben getan, was sie konnten und liebten. Und sie wussten schon gut, was sie aneinander haben.
Bleiben Sie behütet in allem, was Sie gerade tun können oder lassen müssen.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.
 

14.03.2020
Dr. Stefanie Schardien