Geschichte der Kirche

Geschichte der Kirche

Alfred Schiske

Historische Nordansicht St. Vinzentius

In einer Stadt mit wenigen Baudenkmälern hat die St. Vinzentius-Kirche in Bochum-Harpen einen besonderen Stellenwert. Architektur und Inneneinrichtung vermitteln einen Eindruck von der großen Kirchenbaukunst westfälischer Vorfahren. Das Alter der Kirche lässt sich ziemlich sicher bestimmen: Der steinerne Baukern entstand um das Jahr 1000 auf einer kleinen Anhöhe. Damit ist die Kirche älter als die Stiepeler Dorfkirche (1008) im Süden der Stadt, auf den Höhen über der Ruhr. Der Schutzpatron des Gotteshauses, St. Vinzentius, ist ein spanischer Märtyrer, der im Jahre 304 in Saragossa verbrannt wurde.

In den Jahren 1975 bis 1978 wurde die St. Vinzentius-Kirche renoviert. Grabungsarbeiten brachten Reste eines Chorraum-Fundaments im „Fischgrätmuster" zutage, eine für die ottonische Baukunst um das Jahr 1000 typische Form. Dazu fanden sich Reste eines Bodenbelages. Eine ebenfalls bei den Renovierungsarbeiten gefundene Silbermünze aus der Zeit von 997 bis 1012 bestätigt das Alter der Kirche.

Diese erste Kirche war eine einfache Saalkirche mit einem Flachdach. Sie muss etwa 8 Meter lang und 6,60 Meter breit gewesen sein. Die Chorapsis, der Altarraum, maß 4 mal 4,20 Meter. Schon um 1050 erhielt sie einen Anbau, der als Leichen- oder Trauerhalle diente. Das Schicksal dieser ersten Kirche in Bochum-Harpen ist leider unbekannt, ebenso der Grund für die Errichtung der „Romanischen Pfeilerbasilika" um 1150 bis 1200. Die Basilika - eine für den damaligen westfälischen Raum schöne Anlage - blieb bis etwa 1470 unverändert. Die Westjoche des Mittelschiffes und Teile der Seitenschiffe mit Turmwand gegen den Kirchenraum sind bis heute in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Um das Jahr 1475 wurde die Kirche erweitert, der romanische Chorabschluss durchbrochen und der gotische Altarraum eingefügt. Die Wand des nördlichen Seitenschiffes wurde in Höhe der Apside mit einem großen gotischen Fenster versehen. Dadurch fiel auf den zur gleichen Zeit eingesetzten Dreikönigsaltar mehr Licht. Die Sakristei wurde etwa 100 Jahre später angebaut.

Im Jahre 1905 veränderte sich die Kirche ein weiteres Mal: An der Südseite erhielt sie einen Anbau mit Empore im neugotischen Stil. Auch am Kirchturm - einem ehemaligen Wehrturm aus der Zeit vor 1000 - hatten die vergangenen Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen. Er wurde im Jahre 1876 erneuert und blieb bis 1940 unversehrt. In diesem Jahr fiel die Turmspitze einem Wirbelsturm zum Opfer. Erst 1952 wurde der Turm repariert und als Giebelturm mit Dachreiter umgestaltet. Im Inneren der Kirche fällt der Blick auf den Barock-Altar, der die Jahreszahl 1699 trägt. Bei genauerem Hinsehen erkennt der Betrachter die asymmetrische Bauweise, die dazu einlädt, Unterschiede zwischen der rechten und linken Altarseite zu suchen. Es handelt sich um einen Sakramentsaltar, der im Oval die Taufe Jesu im Jordan, darunter die Einsetzung des Heiligen Abendmahls und als Bekrönung den auferstandenen Herrn mit den Triumphengeln zeigt. Die beiden Altarbilder sind Reproduktionen aus den Jahren 1869 / 70. Das Abendmahlsbild war von 1905 bis 1976 durch das Bild „Jesus im Garten Gethsemane" ersetzt, das seinen Platz im südlichen Seitenschiff gefunden hat. Auf dem neuen Unterteil des Altars liegt die alte geweihte Altarplatte, die ehemals zum Drei-königsaltar in der Nordnische gehörte, der inzwischen aufgelöst wurde. Das Altarkreuz mit dem byzantinischen Mittelkreuz stammt aus dem Jahre 1983. Es hat die Form eines irischen Kreuzes und weist auf die Heimat der Missionare hin, die hier in früher Zeit die christliche Bot-schaft verkündigten. Der Bemalung des Altars - er trägt die achte Farbschicht - wurde die zweite Farbschicht von unten zu Grunde gelegt, die aus der Zeit um 1750 stammt.

An der Nordwand des Altarraumes ist das große Sakramentshaus (1471) zu sehen, eine Stif-tung der Herren zur Wiesche, die Patrone der Kirche waren. Offensichtlich war dieses Werk der Hochgotik ursprünglich nicht für die Harpener Kirche bestimmt, denn über der Nische ist es verändert worden. In der Nische ist ein Christuskopf aus der Zeit um 1200 angebracht. Eine seltene Kostbarkeit stellt das Reliquienglas aus dem Dreikönigsaltar dar, das die Dreikö-nigsreliquie enthält. Es ist davon auszugehen, dass sie aus dem Dreikönigsschrein des Kölner Doms entnommen wurde. Im Glas ist das Siegel des Bischofs, der die Altarplatte geweiht hat; die Inschrift ist leider unleserlich. Am Gewölbe des Chores sind Reste einer Ausmalung zu sehen, die etwa um das Jahr 1470 entstanden sein muss. Sie lassen einen Engel erkennen, der Christi Kreuz trägt.  Das Dreikönigsrelief (um 1400) an der Nordwand des Chores stellt die Anbetung der drei Kö-nige aus der Weihnachtsgeschichte dar. Über dem Relief befindet sich eine Sakramentsni-sche; im Giebel ist Jesus Christus als Weltenrichter dargestellt. Über der Bekrönung erkennt der Betrachter den gekreuzigten Christus. Diese Darstellung ist ein Überbleibsel einer Freskomalerei, die um 1300 entstanden ist. St. Vinzentius, der Schutz-patron der Kirche, hat seinen Platz in der Pfeilernische gefunden. Er trägt in der rechten Hand die Bibel, in der linken die Fackel. Baldachin und die Konsole mit dem Wappen der Familie Dueker ergänzen das Standbild.

Der Taufstein passt vorzüglich in das bisherige Bild und verbindet Altes und Neues in der St. Vinzentius-Kirche. Sein oberer Ring ist das Reststück eines Taufsteines aus dem 12. Jahr-hundert. Es zeigt eine Gans - Symbol der Wachsamkeit - als Sinnbild des Geistes Gottes und die Blatt-Girlande, das Grün des Lebens. Der Taufleuchter um 1830 stammt aus England. Auch die Orgel wird dieser Besonderheit der Kirche gerecht und schlägt eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Geschichte der Orgel in der St. Vinzentius-Kirche lässt sich bis etwa 1580 zurückverfolgen. Da das Pfeifenmaterial der alten Orgel aus dem Jahre 1866 / 67 zum Teil noch vorzüglich erhalten war, wurde darauf verzichtet, eine vollständig neue Orgel anzuschaffen. Die noch brauchbaren elf Register der Peternell-Orgel wurden um neun neue Register er-gänzt. Das Ergebnis dieser Kombination aus Alt und Neu ist eine hervorragende, klangvolle Orgel. Sehenswert sind auch die Bergmannsfenster unter der Süd-Empore. Die Berliner Künstlerin Helene Starck hat sie im Jahre 1939 auf der Zeche Robert Müser „vor Ort" entworfen. Auch sie haben ihre besondere Geschichte. Die Fenster, die Bergleute bei der Arbeit zeigen, wur-den wegen des Krieges zunächst nicht eingebaut, sondern auf der „5. Sohle" der Zeche Ama-lia gelagert. Bergleute entdeckten sie nach Kriegsende durch Zufall wieder. Sie wurden 1949 an ihren vorgesehenen Platz in der St. Vinzentius-Kirche gebracht.

Bei den wertvollen mittelalterlichen Glocken handelt es sich um die Vinzentius-Glocke aus dem Jahre 1483 und die Maria-Glocke aus dem Jahre 1484.