Der Sohn hat Einschulung, und sein Papa kann nicht dabei sein, weil er Marinesoldat ist und sich zum Einsatz auf dem Mittelmeer befindet. Solche Situationen gehören zum Alltag auf der Fregatte "Sachsen-Anhalt".
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Ein trüber Morgen in Wilhelmshaven. Die Fregatte SACHSEN-ANHALT liegt am Kai. Ein 150 Meter langes, graues Schiff, fensterlos. Aufbauten für die Brücke, für Geschütze und Radar. Hinten ein Hubschrauberlandeplatz. Das Schiff gehört zu den neuesten der deutschen Marine.
Die Besatzung ist seit sechs Uhr an Bord. 120 Soldatinnen und Soldaten in blauer Bord- und Gefechtskleidung machen das Schiff klar zum Auslaufen. Es ist eine junge Mannschaft verschiedener Dienstgradgruppen. Fregattenkapitän, nautische Offiziere, Rudergänger, Köche, Maschinisten, Sanitäter. Auch ein Militärpfarrer gehört dazu. Gemeinsam mit diesem, dem Militärpfarrer Felix Halbensleben, gehe ich an Bord. Er hat in den letzten vier Jahren bereits verschiedene Besatzungen begleitet.
Ich war jetzt auf sechs unterschiedlichen seegehenden Einheiten für längere Zeit mit Übernachtung. Auch nur auf Stippvisiten für einen Nachmittag oder zwei Nachmittage komme ich, glaub ich, auf fast alle Schiffstypen der Bundeswehr.
Der 41-Jährige ist ein schlanker, dunkelhaariger Mann. Er weiß, wie man sich auf dem Schiff bewegt. Wann man auf der Brücke stört, wann man in der Mannschafts- oder Offiziersmesse – so werden die Speiseräume auf dem Schiff genannt – ein gern gesehener Gast ist. Er weiß, wann man auf Deck beim Einlaufen in einen Hafen das Schiffchen als Kopfbedeckung trägt.
Militärgeistliche sind dabei, wenn es in den Einsatz geht oder geübt wird. Sie sind auch da, wenn es ruhiger wird unter Deck oder auf der Brücke und Zeit für Gespräche ist. So entsteht ein Kontakt, der Vertrauen schafft, die tiefergehenden Themen des Lebens einzubeziehen. Soldatinnen und Soldaten sprechen dann auch ihre menschlichen Probleme an.
Unter den privaten Problemen sind ganz häufig in den Einsätzen Heimweh, also die Sehnsucht nach zu Hause, nach der eigenen Familie, Ehefrau, Ehemann und Kindern. Aber eben auch ganz konträr dazu gegensätzlich die Eheprobleme, die dann natürlich in der Abwesenheit auf die Spitze kommen, weil man nicht miteinander sprechen kann oder nur eingeschränkt telefonieren. Bis hin zu: Wie gehe ich mit Angst um, wenn der Alarm kommt, wie gehe ich mit anbahnender Panik um? Denn das ist eine ganz natürliche und ganz menschliche Reaktion, die selbstverständlich auch Soldatinnen und Soldaten haben. Aber ich eben genauso. Ich stehe vor derselben Herausforderung.
Militärseelsorger unterliegen selbstverständlich dem Seelsorgegeheimnis. Alles, was ihnen anvertraut wird, bleibt bei ihnen und nur bei ihnen. Die Soldatinnen und Soldaten müssen nicht befürchten, dass sich nach einem Gespräch die Personalakte öffnet. Kein Gericht und kein Admiral können einen Militärpfarrer von der Schweigepflicht entbinden. Deshalb wird ihr Dienst auch hochgeschätzt, wenn Militärgeistliche Soldatinnen und Soldaten bei Übungen und Einsätzen im In- und Ausland begleiten. Manchmal tage- und wochenweise, manchmal mehrere Monate. Auch bei Einsätzen der NATO oder der Vereinten Nationen im Ausland ist das so.
Um 10 Uhr ist das Schiff klar. Wir legen ab. Kurs Nord-Nordwest. Vier Tage kann ich mit an Bord sein und die Besatzung bis nach Oslo begleiten. Die Nordsee ist spiegelglatt wie selten.
Über den Jadebusen und die Deutsche Bucht gleiten wir vorbei an Helgoland auf der einen und Off-Shore-Windrädern auf der anderen Seite. In den vier Tagen stehen einige Übungen auf der Nordsee an. Person-Über-Bord-Manöver inklusive. Die Minuten werden genau gestoppt, bis die Männer auf dem Beiboot – das seitlich aus dem Schiffsrumpf ins Wasser gelassen wird – die Übungspuppe aus der kalten See ziehen Im Ernstfall ist das überlebenswichtig. Natürlich geht es auch um andere Übungen, die die Verteidigungsbereitschaft der Mannschaft im Umgang mit der Fregatte sicherstellen sollen. Ich treffe Fregattenkapitän Hanna L. Sie ist die "IO" (gesprochen Eins-Oh), wie man den Ersten Offizier auf einem Schiff nennt, und damit die Vorgesetzte der Mannschaft. Nach dem Kommandanten ist sie der ranghöchste Offizier auf dem Schiff. Die Begleitung durch einen Militärseelsorger sieht sie positiv:
Viele Soldaten nehmen den Militärseelsorger nicht … primär als Geistlichen wahr, sondern als Gelegenheit, mit jemandem zu reden, eher als Gelegenheit, aus dem psychosozialen Netzwerk, weil in vielen Fällen, wenn Soldaten nicht weiter wissen, ist der Pfarrer die erste Anlaufstelle, weil er an eine Schweigepflicht gebunden ist und weil er zuhören kann, weil er gelernt hat, ähnlich wie ein Psychologe, wie gehe ich mit verschiedenen Sachen um, was kann man machen und vor allen Dingen, weil er eben nicht direkt der Psychologe ist, der einem die Borddienstverwendungsfähigkeit wegnimmt.
Fregattenkapitän Hanna ist 38 Jahre alt und Maschinenbauingenieur von Beruf. Ich bleibe hier beim Vornamen, denn in der Bundeswehr ist es nicht üblich, den Nachnamen in den Medien zu nennen. Zudem gibt es in der Bundeswehr keine weiblichen Dienstgradbezeichnungen. Die Besatzung der SACHSEN-ANHALT besteht zu 80 Prozent aus Männern, aber auch neun Frauen sind mit dabei. Dem Fregattenkapitän wird Respekt und Sympathie entgegengebracht. Die dunkelblonde, schmale Frau gehört zu den derzeit 13 Prozent Frauen in der Bundeswehr.
Die "IO" schätzt es, dass Frauen mit an Bord sind:
Im untergebenen Bereich habe ich festgestellt, dass es dem ein oder anderen Mann guttut, wenn eine Frau dabei ist, weil komischerweise dann auf einmal so Sachen wie "die Kammer ist sauber" funktionieren. (…) Und was man in einigen Bereichen auch erleben kann, ist tatsächlich, dass, wenn Frauen dabei sind, gerade wenn es irgendwie um sportliche Leistung geht, dann triggert das doch den ein oder anderen Mann noch mal mit deutlich mehr Ehrgeiz, da bessere Ergebnisse abzulegen.
In den nächsten Tagen auf See lerne ich viel über den Alltag an Bord. Übungen für den Einsatz, Wachzeiten am Tag und in der Nacht im Schichtsystem. Die Gemeinschaft, die im Bundeswehrterminus Kameradschaft heißt, ist wichtig. Die Besatzung wird über die Zeit zu einer Ersatzfamilie, mit der man in den kommenden Wochen Einsatz und Übung bewältigt. Nach dem zurückliegenden Urlaub ist die Stimmung unter der Besatzung gut. Aber ich höre auch, worin die Belastungen vor den kommenden langen Einsatzzeiten liegen:
Was bei uns an Bord momentan die Besatzung belastet, ist das sehr straffe Einsatzausbildungsprogramm, was wir durchlaufen müssen. So was Ähnliches hat einen Großteil der Besatzung, also alle die, die schon länger an Bord sind, 2023 miterlebt und die haben gesehen, wie anstrengend das ist, wie fordernd das ist und was dieses Mal der Besatzung dahingehend Sorgen bereitet, ist tatsächlich die Problematik, dass es danach nur eine sehr kurze Erholungsphase gibt, bevor es in den Einsatz geht. Das heißt, man muss wissen, wie man mit seinen Ressourcen umgeht, um halt nicht sich zu gefährden, keine anderen zu gefährden und um möglichst lange diese anstrengende Strecke, möchte ich mal sagen, mit den besten Kräften entlang zu gehen.
Die Fregatte wird vier Wochen auf der Nordsee unterwegs sein. Danach stehen weitere Übungen im Ärmelkanal an. Dann soll die junge Mannschaft so gut ausgebildet sein, dass sie in der Lage ist, vor der libanesischen Küste im Auftrag der Vereinten Nationen den Waffenschmuggel zwischen Israel und dem Libanon zu verhindern. UNIFIL wird dieser Einsatz genannt. Mehrere Monate wird er dauern.
Dort gibt es Soldaten, die an Land sind, und auch Schiffe, die Seeraumüberwachung machen, um halt festzustellen, dass die Dinge, die von den Vereinten Nationen festgelegt worden sind, die nicht mehr in den Libanon gelangen dürfen, dass das eingehalten wird. Das heißt, wir wären dann für die Seeraumüberwachung zuständig.
Für die Mannschaft heißt das, dass sie zu einem sogenannten scharfen Einsatz aufbrechen. Dann kann die Bedrohungslage bei der Seeraumüberwachung schon mal sehr konkret werden.
Seit dem Angriff auf Israel sieht die Lage vor Ort anders aus und zumindest Soldaten, Bekannte, die ich kenne, die dort waren, sagen, dass die Belastung auch eine ganz andere ist, weil man halt einen scharfen Kampfeinsatz, also Bomben, die von der einen Seite auf die andere Seite fliegen, durchaus beobachten kann, je nachdem, auf welcher Wachstation man sich befindet.
Militärseelsorger Felix Halbensleben lebt an Bord den Alltag mit der Mannschaft mit. Seine Aufgaben und sein Tagesablauf sind dabei klar geregelt und richten sich nach dem Tagesbefehl.
Je nachdem, was der Tagesbefehl sagt - das ist der Ablauf, der vorgegeben ist für den jeweiligen Tag - sagt, es beginnt mit dem Aufstehen, frühstücken, dann eine Morgenlage, an der wir teilnehmen, d.h. eine kurze Besprechung einer Dienstgradgruppe, bei uns die Offiziere, wo durchgesprochen wird, was steht an diesem Tag an, was ist erwähnenswert in den darauffolgenden Musterungen. Dann ist die Frage, ist es ein Training, was absolviert wird, mache ich ein Lebenskundlichen Unterricht zu moralischen und ethischen Fragestellungen und Anliegen. Habe ich für mich auf meiner Liste Gespräche, die vorher angekündigt und angemeldet sind. Oder gehe ich einfach durch die verschiedenen Orte an Bord und schau mal, wie die Stimmung ist. Beweg mich durch die Raucherecken, beweg mich einfach lächelnd durchs Schiff, guck mal, wie es aussieht und wie die Lage ist.
Militärseelsorger Halbensleben bietet neben seelsorgerlichen Einzelgesprächen und dem berufsethischen Unterricht auch Gottesdienste an. Je nachdem, wo an Bord Platz dafür ist, wird in der Messe gefeiert oder – wenn es das Wetter zulässt – auf dem Hubschrauberlandedeck. Sein Equipment hat er immer mit dabei: Das Kreuz, den Altarschmuck, Kerzen, eine Bibel und seinen Talar. Dem Militärgeistlichen ist es wichtig, für den Gottesdienst an Bord eine schöne Atmosphäre zu schaffen.
Vieles an Bord von Schiffen und Booten ist improvisiert. …. Ich kann kein Instrument spielen. … Dementsprechend singen wir dann a cappella. Es gibt ein extra für Soldatinnen und Soldaten, die Lebensrhythmen, ein eigenes Gesangbuch, was an die zivilen angelehnt ist, aber noch ein paar andere Lieder beinhaltet und Andachtsformate beinhaltet, und dann setzen wir uns einfach zusammen und circa, je nachdem, wie viel Zeit wir an diesem Tag haben, zwischen 20 Minuten, 30 Minuten, zusammen, feiern den Gottesdienst und trinken im Anschluss noch ein kleines Getränk, Klönschnack, der Kaffee nach dem Gottesdienst, wie man ihn auch aus vielen zivilen Gemeinden kennt.
Das klingt vertraut und nach einem fast alltäglichen Tagesablauf. Aber was muss man mitbringen, um Militärseelsorger zu werden und dann noch auf einem Schiff tätig zu sein? Felix Haldensleben beschreibt es so:
Über 98 Prozent dieser Pfarrerinnen und Pfarrer haben eine Weiterbildung in der Seelsorge absolviert und sind darin fit und bringen eben auch reichhaltige Erfahrung in der Notfallseelsorge mit. Das war jetzt der nichtmarinespezifische Teil, der aber genauso richtig ist. Und für Marine ist es einfach wichtig, wenig Angst und Berührungsängste mit dem Wasser zu haben, denn ein Teil der Ausbildung, bevor man auf ein Schiff oder auf ein Boot in den Einsatz und die Übung geht, steht eben eine Ausbildung ganz speziell auf diesem Bereich an und d.h. auch zum Beispiel Feuer zu bekämpfen. Es ist wichtig, den Feuerlöscher dann auch selber in die Hand zu nehmen, denn das wird von jedem einzelnen, der an Bord ist, verlangt, dass das getan wird. Ebenso auch bei Wassereinbruch keine Angst vor Wasser zu haben, sondern selber zu Hammer und anderen Werkzeugen zu greifen, um mit Holz das Leck abdichten zu können.
Meine Zeit auf der SACHSEN-ANHALT ist vorbei. Die Tage sind schnell vergangen. In Oslo verlasse ich das Schiff. Im Spätsommer wird die Fregatte dann zum Einsatz ins Mittelmeer auslaufen und mehrere Monate unterwegs sein. Keine leichte Zeit für Besatzung und Angehörige: Der älteste Sohn in einer der Besatzungsfamilien wird seine Einschulung ohne den Vater feiern. Martinstag, Nikolaustag, Weihnachten und Silvester werden die Angehörigen der Besatzung ohne ihre Lieben verbringen. Klar, das Internet ist deutlich besser als in früheren Jahren, so dass es leichter fällt, den Kontakt zu halten. Aber das Gespräch am Küchentisch und den wirklichen Gute-Nacht-Kuss kann auch der Daily-Love-Call nicht ersetzen. Und wenn es in der Kammer, die mit mehreren Kameraden belegt ist, nicht nur räumlich, sondern auch menschlich eng wird, sind die langen Einsatzzeiten richtig belastend.
Aber die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie mit ihrem Dienst dafür einstehen, dass bei uns ein Leben in Sicherheit und Freiheit möglich ist. Sie patrouillieren auf Nord- und Ostsee, um gefährdete Unterseeleitungen zu schützen. Sie versuchen, Waffenschmuggel im Mittelmeer zu unterbinden, und erleben, wie Raketen auf Handelsschiffe im Roten Meer gefeuert werden. Die Soldatinnen und Soldaten der Marine spüren konkrete Bedrohungslagen. Die Militärseelsorge ist auch bei solchen Einsätzen dabei. Auf dem Mittelmeer, der Nord- und Ostsee oder in Litauen. Und für viele ist diese Begleitung ein Anker der Hoffnung.
Es gilt das gesprochene Wort.
Lieder der Sendung:
1) Benedikt Reidenbach, Wiegenlied
2) Benedikt Reidenbach, The Star of the County Down
3) Benedikt Reidenbach, Westernovelle
4) Benedikt Reidenbach, Berliner Melange