„Neues aus der Welt“

Morgenandacht
„Neues aus der Welt“
26.04.2021 - 06:35
22.04.2021
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Neues aus der Welt“ heißt der neue US-amerikanische Western, den ich mir lieber im Kino angesehen hätte als zu Hause. Vor allem die grandiose Landschaft müsste man auf großer Leinwand sehn. Tom Hanks und die 12jährige Helena Zengel     spielen in diesem Road-Movie ein ungleiches Paar. Hanks ist ein ehemaliger Captain der Südstaaten-Armee kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Sein Geld verdient Captain Kidd als Geschichten-Erzähler. Er reist in Texas von Stadt zu Stadt und liest aktuelle Nachrichten aus Zeitungen vor. Aber er liest eigentlich nicht vor, er setzt seine Geschichten spannend in Szene. So trösten und unterhalten sie sein Publikum, manchmal rütteln sie sogar auf. Eigentlich ist Captain Kidd ein guter Prediger.
Helena Zengel spielt ein blondes Kind deutschsprachiger Einwanderer, das vom indigenen Stamm der Kiowa als Kleinkind entführt wurde und bei ihnen aufgewachsen ist. Die Armee rottete diesen Kiowa-Stamm aus und so wurde das Kind zum zweiten Mal Waise, denn die Kiowa hatten damals ihre Eltern und Geschwister getötet. Captain Kidds Aufgabe ist es, dieses Mädchen zu Verwandten zu bringen, die 400 Meilen entfernt leben. Das Kind, mit deutschem Namen Johanna, spricht nur Kiowa und ein paar Brocken Deutsch aus Kindertagen    kein Englisch. Und Johanna fühlt sich als Indianerin. Johannas entfernte Verwandte können mit dem Mädchen wenig anfangen. Aus ihrer Sicht hat sie „etwas Wildes“. Ja: sie ist eine Wilde aus europäischer Sicht.
Und verhält sich auch so und isst zum Beispiel mit den Händen. Die Verwandten binden sie an, damit sie nicht wegläuft. Wie eine Ziege.
Natürlich: der Film hat ein happy end. Captain Kidd befreit das bei den Verwandten so unglückliche Mädchen. Sie wird seine Assistentin beim Geschichten erzählen. So endet der Film.

Und dann, sagen wir in vier oder sechs Jahren, wenn Johanna eine Frau ist? Kiowa wird sie nicht mehr verlernen, das ist ihre zweite Muttersprache. Auch die Sitten und Gebräuche ihres ehemaligen Stammes gehören zu ihr. Sie sind ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Und gleichzeitig wird sie dann eine weiße Amerikanerin sein und sich äußerlich unauffällig in der Welt der Weißen bewegen. Sie wird eine der wenigen Menschen sein, die zwischen den Kulturen switchen können.
So wie heute eine ganze Reihe zugewanderter Menschen, meistens mit muslimischem Hintergrund. Ich denke an einen muslimischen Jungen, den ich ein paar Jahre lang in evangelischer Religion unterrichtet habe. Dieser Junge ist heute ein erfolgreicher Manager. Und was Religion betrifft: zwischen Christentum und Islam kann er switchen.
Er fühlt sich beiden kulturellen Räumen zugehörig. Hybride Identität nennen das manche.
Man könnte auch "Zweiheimische" sagen. Und von diesen Menschen gibt es zunehmend mehr.
Und sie können etwas, was als indianische Weisheit gilt: „Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn du ihn verstehen willst.”
Menschen mit so genannter hybrider Identität können eine Weile lang in den Schuhen der andern gehen, ganz selbstverständlich sozusagen. Sie switchen zwischen Sprachen und Kulturen, grad so wie andere die Straßenseite wechseln. Alle anderen müssen das üben.
Mich in andere hineinzuversetzen, eine Weile in ihren Schuhen zu gehen, das ist eine hohe menschliche Kunst. Mit ihr kann ein friedliches Miteinander gelingen.
•    Böses nicht mit Bösem zu vergelten, 
•    barmherzig sein,
•    andere nicht richten,
•    ja: die andern zu lieben und alle Dinge in Liebe geschehen zu lassen
Das gelingt eher, wenn ich den Schuhen meines Gegenübers gehe, wenigstens ein Stück weit. So verlasse ich für ein Weile meine gewohnte Position. Und schaue über den Tellerrand hinaus.
„Neues aus der Welt“ ist ein irgendwie altmodisches Epos, allerdings mit moderner Seele. Die wilden anderen sind plötzlich wie wir selbst, blond und deutsch. Die Sprache, mit der man sich versteht, können wir lernen. Ein bisschen zweiheimisch sein hilft dabei.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

22.04.2021
Peter Oldenbruch